Eigentlichkeit bei Heidegger

Heideggers Begriff der Eigentlichkeit in Sein und Zeit

  1. Einleitung

Heideggers Selbstseinstheorie, die er in Sein und Zeit entwickelt hat, untersuche ich im Folgenden daraufhin, ob in ihr phänomenologisch deskriptive oder eher normative Züge überwiegen, ob sie sich also der menschlichen Existenz phänomenologisch beschreibend und in ihren Ergeb­nissen ausweisbaren Art und Weise nähert, oder ob sie diesem Phänomen mit einer normativen Konzeption begegnet. Dass das Letztere der Fall ist, wird sich im Verlauf der folgenden sprachanalytischen Auseinandersetzungen und Darlegungen ergeben, genau wie auch die ungebrochene Aktualität der Selbstseinstheorie Heideggers, die uns auch heute noch einiges zu sagen hat, wenn wir die Herausforderungen des modernen Lebens beleuchten wollen.

In der ersten Perspektive geht es also um eine Innensicht auf den systematischen Zusammenhang, wie er uns in „Sein und Zeit“ begegnet. Hinzugezogen werden soll aber eine externe, zwangsläufig kritische Perspektive. Nicht nur, weil sich dies im Sinne ei­nes besseren Verständnisses der Selbstseinstheorie anbietet, sondern weil dadurch deren Entstehungs­bedingungen soweit angesprochen werden können, dass sich dadurch Heideggers Bemühen besser erkennen lässt, im Pro­blemzusammenhang der Moderne zu einer Lösung wichtiger Fragen des Selbstseins zu gelangen.

Die Selbstseinstheorie gehen wir im Folgenden in ihrer kürzesten und daher prägnant­esten Fassung an, nämlich anhand der beiden Grundbestim­mungen menschlichen Daseins, die in der Einleitung von „Sein und Zeit“ gegeben wer­den:

„Es (das Dasein, DDP) ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.“ (S. 12). Und vom Dasein heißt es,

„sein Wesen (liegt, DDP) vielmehr darin …, dass es je sein Sein als seiniges zu sein hat“ (S. 12).

Diese beiden Grundbestimmungen des Seienden Mensch, genannt Dasein, werden im Weiteren formelhaft als „gehen um“ und als „zu sein“ zitiert. Diese beiden Grundbe­stimmungen des Daseins befinden sich in Paragraf 4, dessen formales Thema „Der ontische Vorrang der Seinsfrage“ ist. Reales Thema ist jedoch eher eine Darstellung des Verstehens und des Seins des Men­schen als Existenz. Mit den Begriffen „Sein“ und „Existenz“ haben wir bereits die zentralsten und wichtigsten Begriffe der Selbstseinstheorie vor uns. Die Definition und Differenzierung dieser Begriffe sind somit eine der Hauptaufgaben der Darstellung der Theorie Heideggers. Zunächst sollte der Zusammenhang, in dem die beiden Grundbestimmungen fallen, etwas genauer skiz­ziert werden.

Mit seinem Werk „Sein und Zeit“ unternimmt Heidegger den Versuch, ein umfassendes philosophisches System zu entwerfen. Als Ausgangspunkt wählt er dabei die Frage nach dem Sein, des Weiteren die Frage nach dem Sinn von Sein. In einem Gestus der Bescheidenheit sagt Heidegger sogar, dass es ihm zunächst nur um die Ausarbeitung die­ser Frage gehe. Die Ausarbeitung dieser Frage erscheint ihm notwendig, da dies von der Tradition nicht geleistet worden sei, geschweige denn, dass diese Frage hinlänglich beantwortet sei. So findet sich in „Sein und Zeit“ dem­entsprechend auch ein Programm der Destruktion traditioneller Onto­logie, also der traditionellen Lehren und Theorien über das Seiende bzw. das Ontische. Im ersten Absatz von Paragraf 4 versucht Heidegger nun etwas künstlich anmutend an das Thema des vorhergehenden Paragrafen anzuschlie­ßen, in dem er die These aufstellte, dass der ontologische Vorrang der Seinsfrage darauf beruht, dass die Seinsfrage abzielt auf die „Bedingung der Möglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologien selbst“ (S. 11). D.h. die Seinsfrage als Element der allgemeinen Lehre über das Sein des Seienden hat einen Vorrang vor den spezialisierten Ontologien, die jeweils die Gegenstandsbereiche der Einzelwissenschaften thematisieren. Heidegger ver­sucht nun von der Thematisierung der Einzelwissenschaften aus, die er als Regional-Ontolo­gien begreift, den Bogen zu einem eigentlich neuen Thema zu schlagen, das angedeutet wird mit dem Satz: „Das Dasein selbst ist überdies vor anderem Seienden ausgezeichnet.“ (S. 11) Heidegger wechselt damit von der Frage nach dem Vorrang der Seinsfrage zunächst einmal über zu der Frage nach etwas Anderem, was auch einen Vorrang hat, nämlich Dasein, also das menschlich Seiende und sein Sein. Das Dasein ist ausgezeichnet vor nicht daseinsmäßigen Seiendem.

Erst auf Seite 13 schlägt Heidegger den Bogen zurück und versucht, den inzwischen herausgearbeiteten Vorrang des Daseins mit dem Vorrang der Seinsfrage zu vermitteln. Dies tut er mit Hilfe der These, dass der Vorrang der Seinsfrage letztlich im Vor­rang des Daseins gründe. Vereinfachend lässt sich das zunächst so er­klären, dass das Dasein die existentielle Basis, das ontische, also sei­ende Fundament ist, von dem aus oder durch das erst, die Frage nach dem Sein gestellt wird. Also, vor der existentiellen Basis aus, d.h. durch den existierenden Menschen, wird die Frage nach dem Sein gestellt. Diese Frage ist eine existenzielle. Sie betrifft die Struktur des Daseins.

Da es Heidegger gerade um die Struktur des Daseins geht, prägt er eine Terminologie, mit der er unterscheiden kann zwischen dem Sein des Sei­enden Mensch und nicht menschlich Seiendem. Das Vorkommen von nicht ­daseinsmäßigen Seienden nennt Heidegger Vorhandenheit oder Tatsächlich­keit. Davon unterscheidet er terminologisch die Bezeichnung Faktizität, die er für das strukturell vom Seienden verschiedene menschliche Dasein wählt. Diese verschiedenen Begrifflichkeiten zielen nicht darauf ab, die materielle Gegebenheit des verschiedenen Seienden festzuhalten, in ihnen wird nur auf die Strukturunterschiede in den Existenzwei­sen abgehoben. So ließe sich sagen, und Heidegger wurde dies aus Gründen terminologischer Strenge ablehnen, dass Dasein unter anderem Seien­den vorkommt, dadurch dass Dasein auch bedeutet, materiell zu existieren. Doch dieses materielle Existieren kennzeichnet nicht hinlänglich die Struktur des Daseins. Dadurch dass man in Bezug auf Dasein von „sich re­flektierender Materie“ reden kann, bedarf es einer begrifflichen Unter­scheidung, durch die die Unterschiede der Struktur des Existierens bzw. der Existenz zu sich nicht reflektierender Materie hervorgehoben wer­den.

Vorkommen bedeutet für Heidegger allein materiell vorkommen, und da Dasein dies nicht tut, prägt Heidegger für es den Begriff Faktizität, womit er genau die Ebenen betont, die dem nicht daseinsmäßig Seienden abgehen. Allerdings überzieht er dabei diese Unterscheidung in einer Richtung: Heidegger hat nämlich in „Sein und Zeit“ die Leiblichkeit, also den mate­riellen Aspekt des Daseins, überhaupt nicht thematisiert. Aber dadurch, dass der Mensch einen Leib hat, wird Leiblichkeit zwangsläufig ein Aspekt des menschlichen Daseins, also auch ein Aspekt seines Seins.

Heidegger hantiert mit der oben unterschiedenen Terminologie so harsch, dass der Eindruck entsteht, er wolle sogar das Vorkommen, im Sinne eines mate­riellen Existierens des Daseins, unter anderem Seienden leugnen. Das sich dies aber nicht so verhält, zeigt sich deutlich an anderer Stelle. Zwar schließt Heideggers Ansatz eine Anthropologie in der Form aus, dass damit das traditionelle Thema Leib-Seele-Geist wegfällt, und er glaubt weder vom Leib, noch von dem, was eine religiöse Tradition Seele nannte, oder von dem, was seit Platon und Aristoteles Geist genannt wurde, re­den zu müssen, doch würde Heidegger mit Kierkegaarde sagen, dass diese Trennungen nur ein Versuch des Menschen sind, dem Ende des materiellen Existierens, also dem Tod, den Schrecken zu nehmen. Also spätestens mit der Aussage, der Tod ist die äußerste Seinsmöglichkeit des Daseins, näm­lich seine Unmöglichkeit, wird deutlich, dass Heidegger weder die Leib­lichkeit noch das materielle Existieren und damit das Vorkommen unter anderem Seienden leugnet. Die beiden Grundbestimmungen des Daseins, die Heidegger liefert, sind nun so verfasst, dass in ihnen nicht nur Aussagen über die vermeintliche Struktur des Daseins getroffen werden, sondern dass zugleich auch der systematische Ansatz von „Sein und Zeit“ in sie eingeht. Dies wird sich im Verlauf der Darstellung zeigen. Die beiden Grundbestim­mungen sind dann auch diejenigen, über die Heidegger in „Sein und Zeit“ nicht hin­ausgeht.

  1. Die Grundbestimmung „gehen um“

Der Absatz 12. 1 (S. 12 Abs1), in dem die erste Bestimmung „gehen um“ auf­taucht, ist so gebaut, dass Heidegger am Ende wieder am Anfang auskommt. Die These über die ontische Auszeichnung des Daseins wird am Ende nur anders formuliert, nämlich so, dass das Dasein ontologisch ist. Was ist also der Fortschritt von der „gehen um“ Bestimmung zur Endbestimmung, das Dasein ist ontologisch? Die konkrete „gehen um“ Bestimmung wird zunächst durch die abstraktere Bestimmung des Daseins als „Seinsverhält­nis“ ersetzt. Durch die folgende Sequenz von Umformulierungen soll dann immer deutlicher werden, dass das Verhältnis des Daseins zu Sein selbst ein Sein ist. Das Seinsverständnis des Daseins ist eine Seinsbestimmt­heit des Daseins. Also liegt schon in der ersten Erklärung („Zu dieser Seinsverfassung des Daseins gehört aber dann, dass es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat.“ (Abs. 12. 1) der Akzent nicht auf Verhältnis, sondern auf Sein. Die Umformulierung von „gehen um“ in Verhältnis wäre eine schlechte Abstraktion. Das ist insofern wichtig, als dass ja am Ende herauskommen soll, dass das Dasein ontologisch ist, was darin begründet ist, dass es ein Seinsverständnis hat, und dieses Haben eines Seinsverständnisses ist ein Sein, nämlich das des Daseins.

Eine weitere Erklärung ist dann „Verstehen“. „Das Dasein . . . versteht sich in seinem Sein.“ (Abs. 12. 1) „Verstehen“ ist aber selbst eine Seinsweise des Daseins. Alles Verstehen, das bloß ein Bewusstseins­vorgang ist, erst recht alle Auslegung, ist nur innere Aufhellung eines Seins. „Verstehen“ ist so auch ein Sein. „Sein verstehen“ heißt ein „Seinsverhältnis“ zum Sein haben. Heideggers Strategie ist hier, den Schein eines bloß bewusstseinsphilosophischen Ansatzes aufzulösen und so zu formulieren, dass deutlich wird, es geht hier nicht um Bewusstsein, sondern um Verstehen, das ein Sein ist. Was nun aufgeklärt werden muss, ist dieses verwirrende Verhältnis von Sein zu Sein. Wenn Dasein ontisch dadurch ausgezeichnet ist, dass es ontologisch ist, wie versteht dann das Dasein sein „Verstehen sein“? Alle Erklärung, alle ausgearbeitete Ontologie ist nur Ausgestaltung der Ontologie, die wir selbst je sind. Aber wenn eine Ontologie, hier eine Theorie des Selbstseins, ein Funda­ment haben soll, dann muss sie so sein, dass sie das reale Verstehen, das Phänomen Verstehen erhellt. Weil wir existierende Ontologien sind, oder mit Kant gesprochen, weil wir Metaphysik als Naturanlage haben, haben wir auch die Möglichkeit, explizit Ontologie zu betreiben, deren Funda­ment aber allein die Ontologien sind, die wir je selbst sind.

Folgende Fragen lassen sich nun bis zu diesem Punkt unterscheiden:

  1. Was soll es heißen, dass es dem Dasein in seinem Sein um dieses Sein selbst geht?
  2. Geht es dem Dasein um sein Sein?
  3. Geht es ihm um das Sein allen menschlichen Daseins?
  4. Geht es ihm um das Sein alles Sei­enden, also auch um das von nicht daseinsmäßigen Seiendem?
  5. Wie ist das Sein, um das es dem Dasein geht, näher zu bestimmen?
  6. Wie verhalt sich dieses Sein zu dem Sein, in dem es dem Dasein um dieses sein Sein geht?
  7. Und wie ist also das Verhältnis von Sein des Daseins zu Sein im nicht daseinsmäßigen Sinne?
  8. Geht es dem Dasein also nur um sein Sein selbst, verstanden als eigenes Sein oder Sein allen Daseins, oder um das Sein überhaupt?

Es zeichnet sich hier klar ab, der verstehende Zugriff steht und fallt mit der Differenzierung der Bedeutungen von „Sein“. Diese Differenzierung wird nach einer einführenden Problemati­sierung der beiden Grundbestimmungen vorgenommen werden.

Heidegger setzt voraus, dass indem es dem Dasein um sein Sein geht, es ihm um das Sein überhaupt geht. Im Absatz 13. 1 heißt es z.B.: „In der Idee einer solchen Seinsverfassung liegt aber schon die Idee von Sein überhaupt.“ Noch deutlicher wird er in einer späteren Passage: „Das Seiende, dessen Analyse zur Aufgabe steht, sind je wir selbst. Das Sein dieses Seienden ist je meines. Im Sein dieses Seienden verhalt sich dieses selbst zu seinem Sein. Als Seiendes dieses Seins ist es seinem eigenen Sein überantwortet. Das Sein ist es, darum es diesem Seienden je selbst geht.“ (S. 41f)

Wenn Heidegger also sagt, dem Dasein geht es in seinem Sein um dieses sein Sein, so glaubt er damit auch gesagt zu haben, dem Dasein geht es um das Sein überhaupt. Und genau diese Behauptung ist die Klammer, die den systematischen Zusammenhang von „Sein und Zeit“ zusammenhält. Denn mit dieser Behauptung wird die Analyse des Daseins, genannt Daseinsanalytik, ver­bunden mit der Frage nach dem Sein, der Frage nach dem Sinn von Sein. Diese Klammer und damit die Konzeption von „Sein und Zeit“ zerbricht, wenn wir sa­gen müssen, zwar mag es dem Dasein um sein Sein gehen, aber nicht um das Sein überhaupt. Mit welchem Recht behauptet also Heidegger, dass es dem Dasein in seinem Sein auch um das Sein überhaupt geht, in dem es ja schon immer steht?

Dieser Ansatz läuft darauf hinaus, wie er dann im Absatz 14. 2 explizit sagt, die Daseinsanalytik als Fundamentalonto­logie zu begreifen. Vorher wurde zwar gesagt, dass die Daseinsanalytik nur Vorbereitung sei, doch nun avanciert sie zur Fundamentalontologie. Dies ließe sich als folgerichtige Konsequenz verstehen: Zunächst gibt es nicht die Daseinsanalytik als Einleitungswissenschaft, von der die Seinsfrage zu trennen wäre, sondern das in der Seinsfrage Erfragte ist nur zuganglich im Gegenstand der Daseinsanalytik. Wir haben es sozusa­gen in der Struktur des „gehen um“ und des „zu sein“. Man muss nun drei­erlei unterscheiden: erstens, das „Sich verstehen“ des Daseins als ei­nes Seienden in einer konkreten Situation. Das meint Heidegger aber nicht. Verstehen ist von vorneherein ausgezeichnet als der Begriff, der im 5. Kapitel expliziert wird als „Sich verstehen“ in seinem Sein. Das wäre das Zweite. Als Drittes muss man eine Unterscheidung treffen, die den Gegenstand des Verstehens betrifft. Das „Sich verstehen“, das trotz seiner Reflexivität gar kein Verstehen von sich ist, ist ein Verstehen von Sein überhaupt, also ein Verstehen von Sein, das mehr oder anderes ist als das Sein des Daseins. Die beiden letzten Weisen von Verstehen sind hier Thema. Wie verhalten sie sich zueinander? Kann man das „sich verstehen“ des Daseins in Anspruch nehmen als ein Verstehen von Sein überhaupt?

An diese höher gelagerte Frage kommt man erst heran, wenn geklärt ist, ob es sinnvoll ist zu sagen, dem Dasein geht es um sein Sein. Die Frage nach der Daseinsanalytik ist so nicht nur die vorrang­ige in der Frageordnung, sie muss auch geklärt sein, um die Frage nach dem Verhältnis von Daseinsanalytik und Seinsfrage beantworten zu können. Die Wahrheitsfrage ist also zunächst, sind wir so konstituiert, dass es uns in unserem Sein um dieses unseres Sein geht? Die Fraglich­keit dieser Frage wird deutlich, wenn wir uns fragen, was heißt „gehen um“? Dieses „gehen um“ ließe sich übersetzen in „interessiert sein an“, aber nicht im Sinne eines beliebigen Interesses, sondern im Sinne Kierkegaardes, dessen These ist, Mensch sein, das heißt Interesse sein, d.h. ein Wesen sein, das nicht beliebige Interessen hat, sondern als Interesse existiert. Die These lautet dann, es geht uns nicht in ir­gendwelchen Belangen um unser Sein, sondern wesentlich und letztlich. Später heißt es dann auch explizit: „Die Bewandtnisganzheit selbst aber geht letztlich auf ein Wozu zurück. Dieses primäre Wozu ist kein Dazu als mögliches Wobei einer Bewandtnis.“ Und nun kommt das Entschei­dende: „Das primäre ‘Wozu ist ein Worum-willen. Das Umwillen be­trifft aber immer das Sein des Daseins, dem es wesenhaft um dieses Sein selbst geht.“ (S. 84) Im Folgenden spricht Heidegger vom eigent­lichen und einzigen Worum-willen, das unser eigenes Sein sein soll. Die „Wozu-Dazu-Wobei“ Formulierung ist auf die Grundstruktur der Nikomachischen Ethik Aristoteles abgestellt, der das, was Heidegger hier formulieren will, das vollkommene Ziel nannte, dessen Vollkommen­heit darin besteht, dass es als Ziel (primäres Wozu) nicht wieder zum Mittel (Dazu) eines anderen Zweckes (mögliches Wobei einer Bewandtnis) werden kann, sondern allen anderen Zwecken und Mitteln vorgelagert ist, und zwar als dasjenige, um das es mir im Verwirklichen von etwas letzt­lich alleine geht.

Nun lassen sich verschiedene Antworten auf die Fra­ge geben, was denn das Letzte sei, also das vollkommene Ziel oder mit Heidegger, das einzige und letzte Worum-willen. Für Aristoteles lautet die Antwort „Eudaimonia“, Glück. Für die Antike war die Antwort Annähe­rung an Gott und für Marx etwa Herbeiführung humaner Gesell­schaften. Es zeigt sich klar, dass alle diese Bestimmungen inhaltlich sind1. Wie verhalt sich nun dazu Heideggers Antwort, dass das Worum-willen letztlich immer das Sein des Daseins, „dem es wesenhaft um dieses Sein selbst geht“ (S. 84) betrifft? Meine These dazu lautet, dass mit dieser Antwort sowohl auf eine rein formale Antwort abgehoben wird, Heidegger will ja gerade das Sein ohne inhaltliche Bestimmungen definieren, als auch auf eine inhaltliche Bestimmung. Letzteres aber auf eine Art und Weise, dass sich fast alle verschiedenen Formen einer inhaltlichen Be­stimmung des Worum-willen integrieren lassen. Diese Unschärfe in der Antwort muss natürlich auch im Interesse eines fortschreitenden Verste­hens der Konstruktion Heideggers werden. Aber gerade weil er die obige These radikal ablehnen würde, sie aber durch seine un­scharfe Definition von Sein im obigen Kontext provoziert, muss ihr nach­gegangen werden. Um welches Sein geht es also dem Dasein, dass dadurch ontisch ausgezeichnet ist, „dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“ (Abs. 12. 1)?

Ich hatte zu Beginn (vgl. S. 2) die These aufgestellt, dass die beiden Grundbestimmungen des Daseins so verfasst sind, dass in ihnen nicht nur Aussagen über die vermeintliche Struktur des Daseins getroffen werden, sondern dass zugleich auch der systematische Ansatz von „Sein und Zeit“ in sie eingeht. Wir sind nun an einer Stelle angelangt, wo sich dies zum ersten Mal erweisen musste. Ich be­haupte nun, dass es mindestens sieben zu unterscheidende Ebenen gibt, auf denen das Sein, um das es dem Dasein geht, näher bestimmt werden kann. Ich zähle diese Ebenen zunächst nur auf, um sie dann einzeln zu bestimmen und Zusammenhange zwischen ihnen herzustellen.

Dem Dasein kann es um Sein gehen als: 1. Selbst sein, 2.“individuelles“ Existie­ren, also als Vollzug seines Daseins, 3. allgemeines Existieren, also als Vollzug des Daseins der Menschengattung als solcher, 4. Sein überhaupt, also als Sein alles Seienden, welches den Vollzug des Daseins betrifft, oder das Sein alles Seienden, unabhängig davon, ob es den Vollzug des Daseins betrifft oder nicht, 5. Existieren im Blick auf die Seinsmöglichkeiten, heideggerisch gesprochen, die beiden Seinsarten, 6. Struktur zukünftiger Existenz, 7. als Strukturzusammenhang von Exis­tieren und Existenz, Sein also als einheitliche Seinsverfassung des Da­seins.

Ich behaupte nun, dass alle diese möglichen Bedeutungen von Sein, um das es dem Dasein geht, in die „gehen um“ Formel projiziert werden können. Die erste Antwort „Selbst sein“ steht im Zusammenhang zur zwei­ten, Vollzug des eigenen Daseins. Dass es dem Dasein um Sein geht, kann heißen, es geht ihm um sein eigenes Sein. Dies lässt sich mit Heidegger näher bestimmen als Selbst sein, in einer anderen Formulierung als Ei­gentlichkeit oder eigentliches Dasein. Ginge es dem Dasein, hier einem einzelnen Menschen, nur um sein Selbst sein, also nur um sein eigenes Existieren, seinen eigenen Existenzvollzug, so ließe sich diese Haltung als egozentrische oder subjektivistische kennzeichnen. Davon muss die dritte Antwortmöglichkeit unterschieden werden. Einem Einzeldasein kann es um das Existieren, also die Daseinsvollzuge aller Menschen gehen. D.h. es kann dem Einzeldasein um das Selbst sein aller Menschen gehen. Dass die zweite und dritte Antwortmöglichkeit auf jeden Fall in der „gehen um“ Formel liegen, ist dadurch begründet, dass es sich bei dem Begriff Dasein um ein singulare tantum handelt, d.h. der Begriff lässt sich nicht im Plural bilden. Damit scheint zwar einer egozentrischen Deutung des Seins, um das es dem Dasein geht, Vorschub geleistet, Hei­degger geht es aber um das Sein des Daseins und das heißt um das Sein alles Seienden, genannt Mensch.

Durch den Begriff Dasein ist allerdings niemals deutlich unterscheidbar, ob von einem Einzeldasein oder der Menschengattung die Rede ist. Dass aber Sein im Falle der zweiten und dritten Antwortmöglichkeit als Existieren verstanden werden kann, lässt sich durch die „gehen um“ Formel selbst ausweisen. Denn die erste Ver­wendung des Wortes „Sein“ in dem Satzteil „dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“ kann übersetzt werden in: dem Dasein geht es in seinem Existieren um dieses Sein selbst. Sein heißt dann aber auch Existieren, d.h. das Sein, um das es dem Dasein geht, muss auch als Existieren verstanden werden. Darin dass es dem Einzeldasein auch um das Existieren aller Menschen gehen kann, liegt zumindest zu einer Seite hin ein ethischer Zug der „gehen um“ Formel. Denn wird dieses „gehen um“ verstanden als dem Einzeldasein geht es um das Selbst sein aller Menschen, dann eröffnet sich darin auf jeden Fall eine ethische Perspektive. An dieser Stelle ist dann auch nicht weiter von Bedeutung, ob man im Selbst sein etwas formal Bestimmbares oder etwas inhaltlich Bestimmbares sieht. Denn versteht man Selbst sein als etwas Gesolltes, so ist es zunächst gleichgültig, ob darunter ein jeweils in­dividuelles, also inhaltlich bestimmbares Selbst sein verstanden wird, oder ob es sich dabei um etwas inhaltlich Bestimmtes handelt, dass jeder realisieren muss, um Selbst sein zu können.

Gleichgültig im welchen Sin­ne es mir um das Selbst sein anderer Menschen geht, auf jeden Fall geht es mir dabei in einem ethischen Sinne um etwas. Zur anderen Seite hin ist dieser ethische Zug nicht vorhanden. Dem Einzeldasein kann es um das Existieren anderer Menschen gehen, ohne dass es ihm dabei um der­en Selbst sein geht, indem es zum Beispiel andere Menschen genauso be­handelt wie Seiendes nicht daseinsmäßiger Art.

Die vierte Antwortmöglichkeit sieht nun vor, dass es dem Dasein derge­stalt um Sein gehen kann, dass es ihm dabei um das Sein überhaupt geht in dem Sinne, dass es ihm um das Existieren des Seienden geht. Die Unter­scheidung, ob es ihm dabei nur insoweit um das Existieren von Seiendem geht, wie dieses das Existieren des Daseins berührt, oder ob es ihm um das Existieren alles Seienden geht, lässt sich nicht nur auf eine Folie Egozentrismus vs. ethische Haltung abbilden, sondern des Weiteren auf das Verhältnis eines lebenspraktischen Interesses an Existieren­dem zu einem theoretischen Interesse an Existierendem. Mit Heideggers Worten hieße das ein existentielles bzw. existenziales Interesse. Die theoretisch-existenziale Seite wird in der Antwortmöglichkeit 6 und 7 behandelt. Gemeint ist mit der Antwort 4 also nicht das Interesse des Daseins an der Seinsfrage. Gemeint ist vielmehr die praktische Seite dessen, dass zum Dasein auch die Seinsverfassung Weltlichkeit gehört.

Dem Dasein kann es um diese Weltlichkeit, anders formuliert, um dieses In-der-Welt-sein in dem Sinne gehen, dass es sich allein von dieser Weltlichkeit her versteht, dass würde Heidegger uneigentliches Dasein nennen, oder dass es dem Dasein insoweit um diese Weltlichkeit geht, als dass sie den faktischen Existenzvollzug des Daseins mitbestimmt. D.h., dem Dasein kann es in einem rein existentiellen Sinne um Sein überhaupt als Weltlichkeit gehen. In der fünften Antwortmöglichkeit wird das Dasein so vorgestellt, dass es ihm um Sein geht als ein Exis­tieren im Blick auf verschiedene Möglichkeiten zu sein. Das Dasein kann sich die Frage stellen, welche Seinsart es wählt, es selbst zu sein oder nicht es selbst zu sein. Diese Seinsarten sind in Heideggers Konzeption mitbestimmt durch die Seinsverfassung Weltlichkeit. Dem Da­sein kann es um diese Seinsarten aber in einem existentiellen, prak­tischen Sinne gehen. Die Antwortmöglichkeiten 1 und 5 scheinen so zu­sammenzuhängen, da Selbstsein als erste Antwortmöglichkeit lediglich ein Element der fünften Antwort bildet. Doch diese erste Antwort Selbst sein nimmt einen bestimmten Status und eine bestimmte methodische Funk­tion ein, die es erforderlich macht, sie zu trennen. Diese besondere Stellung wird sich auf der existenzialen Seite, also in den Antwortm8g­lichkeiten 6 und 7 ergeben. Die Antwortmöglichkeiten 2 bis 5 bezogen sich auf die Bedeutungsseite von Sein, die Existieren genannt wurde. Nun gibt es aber auch die Bedeutung Existenz.

Sein als Existieren aus­zulegen, bedeutet, dem Dasein geht es um praktische Fragen seines Existenzvollzuges. Aber Existenz, begriffen als Sein, um das es dem Da­sein geht, muss näher gekennzeichnet werden als jeweils bevorstehende Existenz, die in „Sein und Zeit“ den Titel „Seinkönnen“ erhalt, und die vom gegen­wärtigen Existieren zu unterscheiden ist. Zeitlichkeit kommt hier in der Form von Zukünftigkeit ins Spiel. Der Titel „Seinkönnen“ entspricht der Formulierung in Absatz 12. 4: „Möglichkeit seiner selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein“. Die Differenz zwischen Existenz und Existieren wird dann auch im gleichen Absatz explizit gemacht: „Die Frage nach der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu bringen.“ Hier wird die Zusammengehörigkeit von etwas Unter­schiedlichem deutlich. Dass es dem Dasein in seinem Sein – verstanden als Existieren – um sein Sein – verstanden als Existenz – geht, ist Heideggers Auffassung. Er spricht vom Sein des Daseins als dem eigent­lichen und einzigen Worum-willen.

Doch auch diese Antwort, das Sein, um das es dem Dasein geht, ist seine Existenz – verstanden als jeweils zukünftige, ist alles andere als klar. Diese Antwort Heideggers scheint den von mir unterschiedenen Antwortmöglichkeiten 1 und 6 zu entsprech­en. Doch die Sache liegt schwieriger. An der Stelle, an der wir uns nun befinden, erweist sich in der Tat, dass die systematische Konzeption von „Sein und Zeit“ schon in der ersten Grundbestimmung festgeschrieben ist. Antwort 1 besagt ja, es geht dem Dasein um sein Selbst sein. Heideggers Strategie besteht nun aber darin, dass er Selbst sein bzw. Eigentlichkeit so definiert, dass es nur durch die Reflexion auf die Struktur der Existenz realisierbar erscheint. Die These lautet dann, das Dasein hat sich sel­bst nur dadurch, dass es ihm um sein Sein als Struktur seiner zukünftigen Existenz geht. Das ist nicht die umfassendste Deutung des Zusam­menhanges. Doch hier muss man anhalten und eine Zwischenfeststellung treffen, die den in der ersten Grundbestimmung liegenden Ansatz unter­grabt: Wenn die erste Antwort auf die Frage, wie ist das Sein, um das es dem Dasein geht, bestimmt, lautet, als Selbst sein und dann in einem zweiten Schritt gesagt wird, Selbst sein steht unter der Bedingung, dass es sich nur durch Reflexion auf die Struktur der zukünftigen Existenz realisiert, dann kann die Grundbestimmung „gehen um“ in keiner Weise mehr als deskriptive Bestimmung verstanden werden, sondern nur noch als eine normative Bestimmung. Denn in dem Moment, in dem Dasein nicht auf sein Sein als zukünftige Existenz reflektiert, oder anders gesagt, sich im Modus der Uneigentlichkeit vollzieht, fallt es nicht mehr unter die „gehen um“ Bestimmung.

Darin liegt der normative Zug der „gehen um“ Bestimmung, und ob man diese auch als eine inhaltliche Bestimmung erfassen kann, hangt wesentlich davon ab, wie sich Selbst sein bzw. Eigentlichkeit im Weiteren bestimmen lässt. Doch diese Anmer­kungen sind wie gesagt lediglich eine Zwischenfeststellung. Die sechste Antwortmöglichkeit lautet also, dem Dasein geht es um Sein als die Struktur der jeweils zukünftigen Existenz. Geht es dem Dasein aber in diesem Sinne um sein Sein, so liegt darin, dass es dem Dasein als einem ontologisch Fragenden um sein Sein geht. In der „gehen um“ Formel wird also zunächst festgeschrieben, dass wir als existierende Ontologien, die wir je selbst sind, explizit Ontologie zu betreiben haben, um uns im Modus der Eigentlichkeit zu verwirklichen. Der Begriff Selbst sein erhält damit eine explosive Bedeutung. Im gegenwärtigen Zusammenhang firmiert er einerseits als Seinsart, andererseits nimmt er darüberhinaus eine für die Fundamentalontologie zentrale methodische Funktion ein, die im Weiteren noch genauer untersucht werden muss. Heideggers Antwort lautete also, dem Dasein geht es um sein Sein als zukünftiger Existenz.

Diese Antwort ist aber aus verschiedenen Gründen nicht hinlänglich. Zum einen scheint in ihr der Zusammenhang zum Exis­tieren einseitig betont. Denn in ihr liegt, dem Dasein geht es um seine zukünftige Existenz aus der Perspektive heraus, dass es diese Existenz im Existieren zu realisieren, d.h. faktisch zu vollziehen hat. Diese Deutung entspräche aber der von mir vorgeschlagenen Antwortmöglichkeit 5. Das Problem, das sich nun stellt, ist Folgendes, wenn das Dasein sich nicht allein aus praktischer oder existentieller Perspektive auf sein Sein als zukünftige Existenz bezieht, wenn also Dasein die Art und Wei­se, in der es ihm um seine Existenz geht, nicht auf die praktische Frage reduziert, in welcher Seinsart es sich nun denn faktisch vollziehen will, erst dann ist die von Heidegger anvisierte Bedeutung von Sein als Existenz voll realisiert. D.h. – und das ist die Antwortmöglichkeit 7 – das Sein, als Existenz begriffen, ist nur dann überhaupt erkennbar und realisierbar, wenn der Strukturzusammenhang von Existieren und Exis­tenz als Sein begriffen wird, um das es dem Dasein geht. Denn erst die Erkenntnis dieses Strukturzusammenhanges ist erst die Grundlage der Erkenntnis von so etwas wie zukünftiger Existenz.

D.h. Existenz ist nichts anderes als die Abstraktion vom Faktum des Existierens. Und da Existieren bedeutet, sich immer schon entschieden haben für eine Seins­art bzw. sich entschieden haben für die Realisierung einer Seinsart, bedeutet Existenz durch Abzug des Zeitmodus Gegenwart und Projektion auf den Zeitmodus Zukunft nichts anderes als den zukünftigen Raum, der durch die Strukturnotwendigkeit gekennzeichnet ist, dass wir im existierenden Eindringen in ihn zu wählen haben zwischen den Möglich­keiten zu sein, ich selbst oder nicht ich selbst zu sein, also ein ei­gentliches oder ein uneigentliches Dasein zu sein. Und das heißt, das Sein, um das es dem Dasein geht, muss begriffen werden als Strukturzu­sammenhang von Existenz und Existieren bzw. als einheitliche Seinsver­fassung des Daseins. Und dieses Sein, um das es dem Dasein gehen soll, ist ihm allein zugänglich, wenn es im umfassendsten Sinne ein ontolo­gisch fragendes Dasein ist. In der Tat ist es angebracht, hier nun inne zu halten und sich des Kontextes zu vergewissern, in dem diese bombas­tische Antwort gegeben wurde.

Die Frage lautete, wie ist das letzte und eigentliche Worum-willen als Sein des Daseins bestimmt. Setzt man nun die verschiedenen Antworten ein, so ist die erste sicherlich die sympathischste. Doch die bisher erfolgte Auseinanderlegung der Zusam­menhange zeigte, dass mit der Antwort Selbst sein letztlich die Antwort 7 gegeben wird, also das Sein, das das letzte und einzige Worum-willen ist, um das es dem Dasein geht, muss verstanden werden als einheitliche Seinsverfassung des Daseins. Diese Antwort ist aber nicht nur deswegen unbefriedigend, weil in ihr letztlich lediglich auf die existenzialen Bedingungen der Prozesshaftigkeit des Existierens des Daseins abgehoben wird, weil sie also in diesem Sinne rein formal eine sehr komplexe Be­stimmung des Worum-willen darstellt, sondern auch weil in ihr keiner­lei Anhaltspunkte für etwaige inhaltliche Bestimmungen des Worum-willen gegeben werden, während also etwa Aristoteles noch im 6. Kapitel des 1. Buches der Nikomachischen Ethik die These aufstellte, dass der Mensch als solcher wesentlich dadurch charakterisiert sei, dass er in allem, was er tut, aus ist auf die Realisierung eines Werkes des Menschen als solchem, dass also anders gesagt, so wie jeder ein ihn definierendes Werk hat, dass er verwirklichen soll, der Mensch als solcher ein ihn spezifisch definierendes Werk zu vollbringen hat. Aber dieses – und darin liegt die Schwache Heideggers Ansatz – ist nur inhaltlich be­stimmbar.

Wenn nun hingegen die Antwort richtig ist, von der ich überzeugt bin, dass Heidegger sie letztlich geben muss, dann muss man sagen, dass diese Antwort deswegen schwach ist, weil mit ihr letztlich, schein­bar tautologisch, die Antwort auf die Frage nach dem Worum-willen lau­tet, die Struktur des Worum-willens ist es, ist das Sein, um das es uns geht. Diese Deutung ist natürlich eine stark überspitzende Überformung der Antwort Heideggers. Doch sollte an ihr ein wahrer Zug sein, so muss auch gesagt werden, dass diese Antwort nicht zwingend als eine rein for­male begriffen werden muss. Denn sie ließe sich übersetzen in die Ant­wort, indem es dem Dasein um seine einheitliche Strukturverfassung geht, geht es ihm – und das ist dann eine inhaltliche Bestimmung – um eine fortschreitende Erkenntnis oder um eine Bewusstseinserweiterung.

Diese stark überformende Antwort könnte aber auch in klassische The­men der modernen Tradition übersetzt werden, zum Beispiel in das Problem der Freiheit des Willens. Doch solch einer Übersetzung und ihrem Pro­blemzusammenhang in der Moderne soll erst am Schluss dieser Arbeit nachgegangen wer­den. Wenn man nun Heideggers Bestimmung des Worum-willen als eine formale Bestimmung begreift, dann muss man zu der paradoxen Feststellung gelan­gen, dass, indem keine inhaltliche Bestimmung gegeben wird, nichts ander­es als die vermeintliche Tatsache festgestellt wird, dass das Dasein ein Worum-willen ist bzw. hat, und näher bestimmt wird allein die Struktur dieses Worum-willen. Das Hauptproblem eines solchen Versuches, mit dem sich auch der frühe Sartre konfrontiert sah, ist die Annahme, dass mit dem Rückgang von einer inhaltlichen Bestimmung auf eine formale eine anthropologisch invariante Struktur freigelegt wird. Diese Invariante impliziert dann aber notwendig Un- oder Übergeschichtlichkeit. Ein solcher Versuch ist also immer mit der Gefahr der Selbsttäuschung darüber verbunden, dass er selber unter bestimmten, nicht eliminierbaren gesellschaftlichen und geschichtlichen Bedingungen steht. Diesen Bedin­gungen und ihrem Einfluss auf Heideggers Ansatz soll, wie bereits ge­sagt, erst am Ende nachgegangen werden. Heidegger ist jedenfalls der Meinung mit dem Titel Dasein, ein Dasein zu beschreiben, das als unser­es nicht zu unterscheiden ist von dem Dasein in anderen Gesellschaften. D.h. er ist der Auffassung, ein Dasein überhaupt in größter Allgemein­heit zu beschreiben, auf das sich alle Menschen und alle Gesellschaf­ten einigen können, weil sie sich einigen können auf eine formale Struktur, die allen inhaltlichen Bestimmungen zugrunde liegt. In dem sich hier anmeldenden Gedanken einer Geschichtlichkeit kann man genau die Strukturen ablesen, die Heidegger später zum Konzept der Seinsge­schichte geführt haben, das er aber nur durch die Verabschiedung des Gedankens an eine anthropologisch invariante Struktur des Daseins auf­stellen konnte. Es bleibt im Sinne Heideggers und eines konstruktiven Bemühens um seinen Ansatz zu hoffen, dass er mit der Vehemenz, mit der er sich später von der Existenzphilosophie abwandte, nicht recht hat, denn ohne diesen Hintergrund verliert „Sein und Zeit“ gänzlich an Interesse.

Offene Fragen sind nun noch nach wie vor, die Frage nach dem Verhältnis von Sein des Daseins zum Sein überhaupt, die Frage nach den näheren Bestimmungen der einheitlichen Seinsverfassung des Daseins und schließlich die Frage, welche weiteren Konkretisierungen sich durch die zweite Grundbestimmung „zu sein“ ergeben. Die beiden ersten Fragen lassen sich nur sinnvoll beantworten, wenn die dritte Frage angegangen wird. Die Frage nach der Bestimmung „zu sein“ wird sich wiederum auf normative Züge dieser Bestimmung konzentrieren. Dabei wird sich auch die noch ausstehende Konkretisierung des Status und der methodischen Funktion von Selbst sein bzw. Eigentlichkeit ergeben. Danach soll dann eine Reformulierung der einheitlichen Seinsverfassung des Daseins mit Hilfe der Begriffe Struktur und Prozess versucht werden. Mit Hilfe einer solchen Reformulierung der einheitlichen Seinsverfassung des Daseins muss dann der Versuch unternommen werden, das Verhältnis von Sein des Daseins zu Sein überhaupt zu klaren. Mit welchem Recht kann also Hei­degger die These aufrechterhalten, die ich im Zusammenhang mit der „gehen um“ Formel ausgeblendet habe, dass es dem Dasein, indem es ihm um sein Sein geht, auch zugleich um das Sein überhaupt geht? Diese Fra­ge, die sich nicht nur an Heidegger, sondern auch an die ganze Existenz­philosophie richtet, ist insofern auch eine immanente Frage, als dass sie den Zusammenhang zwischen Daseinsanalytik und Seinsfrage betrifft. Heideggers Konstruktion des Zusammenhanges der beiden Elemente und da­mit die ganze Konzeption von „Sein und Zeit“ bricht auseinander, wenn sich zeigen lässt, dass es dem Dasein zwar um sein Sein gehen mag, aber deswegen noch lange nicht um das Sein überhaupt.

  1. Die Grundbestimmung „zu sein“

Mit der zweiten Grundbestimmung des Daseins, das Dasein hat „je sein Sein als seiniges zu sein“, können nicht nur die verschiedenen Seins­arten besser unterschieden werden, es kommt auch noch eine weitere Be­stimmung der Struktur des Daseins hinzu. Denn mit dieser Bestimmung wird das angezeigt, was Heidegger unter den Begriff Jemeinigkeit fasst. Aber nicht nur dieser Begriff verdient hier Aufmerksamkeit, sondern ge­nauso der Umstand, dass Heidegger in dieser Formulierung explizit von dem Sein des Daseins, um das es diesem geht, als seinem Sein spricht: es hat „sein Sein als seiniges zu sein“. Der Begriff Jemeinigkeit zielt darauf ab, dass das Dasein, wenn es sich sprachlich identifiziert, nur im Zusammenhang mit Personalpronomen verwendet werden kann. Ich erlebe mein Dasein als je meines, du als je deines, usw. Damit wird der Ge­danke an ein Subjekt überhaupt, oder eines transzendentalen Bewusstseins, das von einem empirischen zu unterscheiden wäre, von Heidegger schlicht abgelehnt. Diese Jemeinigkeit kennzeichnet das Sein des Da­seins nicht nur als „zu sein“, sondern auch als „gehen um“. „Das Sein, darum es diesem Seienden in seinem Sein geht, ist je meines.“ (S. 42).

Mit dieser Zusammenführung der beiden Grundbestimmungen verkürzt Heidegger die Antwort auf die Frage, welches Sein es ist, um das es dem Dasein geht, auf die Antwort­möglichkeiten, die ich unter 1., 2. und 5. gegeben habe. Davon sehe ich zunächst ab. Der Begriff Jemeinigkeit zielt auf etwas ab, was man in vorsichtiger Obersetzung als Subjektivität oder Individualität bezeich­nen konnte, also etwa individueller oder subjektiver Existenzvollzug oder individuelle oder subjektive Seinsmöglichkeiten. Deren inhalt­liche Bestimmtheit blendet Heidegger aber gerade durch den Begriff der Jemeinigkeit aus. Wenn man nun „zu sein“ imperativisch versteht, stellt sich dann die Frage, was ich denn jemeinig zu sein habe. Die Frage ist widersinnig, denn imperativisch zu Jemeinigkeit aufzufordern ist sinn­los, da ich mein Sein immer schon als jemeines erlebe, habe oder voll­ziehe. Es ist also sinnlos imperativisch aufzufordern, einer Struktur zu entsprechen, die mich ohnehin schon wesenhaft bestimmt. Die Bestim­mung „zu sein“ hat aber noch eine andere Bedeutung in ihrer Fluchtlinie. Sie enthält nämlich die Aufforderung in der strukturellen Vorgabe der Jemeinigkeit, meine jeweils eigenen, als jemeinigen Seinsmöglichkeiten zu vollziehen. Jemeinige Seinsmöglichkeiten, oder mit Heideggers Begriff, meine Seinsarten, sind aber immer nur inhaltlich bestimmbar. D.h. das Faktum der Jemeinigkeit, das einerseits als strukturelle Vor­gabe gedacht werden kann, in der sich alles Dasein vollzieht, und das andererseits auf die Identifizierbarkeit jeglichen Daseins als je dei­nes, meines usw. abhebt, wird vermischt mit konkreten inhaltlichen Be­stimmungen, die zwar nicht genannt werden, aber als Gedachte, die Grund­lage abgeben für die imperativische Formulierung „zu sein“. Der inhalt­lichen Bestimmung wird zunächst aus dem Weg gegangen, indem die Seins­arten auf die Alternative Selbst sein oder nicht Selbst sein, also Ei­gentlichkeit oder Uneigentlichkeit gebracht werden. „Zu sein“ ist also ein Kunstausdruck, der als Imperativ zu lesen ist. Nun lassen sich ana­lytisch zwei Bedeutungen unterscheiden, von denen explizit nur eine in „Sein und Zeit“ ausgearbeitet ist. Die Bedeutungen sind „sollen“ und „müssen“. Al­lein auf die Letzte richtet Heidegger ausdrücklich seine Aufmerksam­keit. Eine Erklärung dieses „müssen“ lautet: „Als Seiendes dieses Seins ist es seinem eigenen Sein überantwortet.“ (S. 41f) Heidegger nennt die­se Erklärung des „zu sein“ zur Seite des „müssen“ die Faktizität der Überantwortung, welche unterschieden ist von Existieren qua Vorhanden­heit oder Tatsächlichkeit.

Damit ist der Sachverhalt gemeint, dass wir uns schon immer als in unser Sein eingesetzt vorfinden, und dass wir dieses Sein sein müssen, sei es im Modus der Eigentlichkeit, Uneigent­lichkeit oder durch Selbsttötung. Aber auch hier hat die Redeweise „müssen“ einen leicht imperativischen Zug, der allerdings den Sachverhalt nicht trifft, aber – darin liegt seine Funktion – die Brücke zur Bedeu­tungsseite des „sollen“ schlagt. Solange aber Dasein ist, bedeutet das „müssen“, bedeutet die Faktizität der Überantwortung, dass wir unserem eigenen Sein überantwortet sind, nicht von ihm loskommen. Daran wäre wei­ter nichts Tragisches, wenn unter Sein einfach Existieren verstanden werden wurde. Doch Sein heißt aber auch nicht loskommen von als gegeben betrachteten Seinsarten, durch deren richtige Wahl wir uns erst als eigentliches Dasein wähnen können. Im nicht loskommen liegt also auch so etwas wie, verfolgt werden von den eigenen Seinsmöglichkeiten, die irgendwie auf Realisierung drangen.

Im Begriff der Überantwortung liegt also nicht nur der Aspekt der Verantwortung für die Wahl der Seins­arten, sondern auch der Aspekt des Eingebundenseins in ein Drama der Realisierung oder Nichtrealisierung eigener Seinsmöglichkeiten, die nicht mehr übersteigbar erscheinen, also einen nicht hintergehbaren Rahmen bilden. Kierkegaarde beklagt dann in der Schrift der Wiederho­lung nicht etwa das Existieren schlechthin, sondern inhaltlich bestim­mte Daseinsmöglichkeiten, die erst die Grundlage dafür abgeben, Begrif­fe wie Überantwortung, Geworfenheit oder Verurteilung auf den Weg zu bringen. Nicht gefragt zu werden, ob man ins Dasein gesteckt werden will, gehört quasi zur conditio humana, aber das sich darüber beklagen zeugt von einer gewissen Scheu, sich diesem Faktum zu stellen, sich zu fragen und die Konsequenzen aus den Antworten zu ziehen. Wir können uns so z.B. jederzeit fragen, ob wir uns nicht wieder aus dem Dasein hin­ausstecken wollen. Ein solches Unternehmen hat aber stets das unaus­weichlich hybride Ansinnen eines hinlänglichen Daseins­verständnisses als Voraussetzung. Ist aber ein solches erreicht, stellt sich die Al­ternative nicht mehr. Dies Aufzuweisen ist ein Ansinnen dieser Arbeit, das über ihren Rahmen hinausfuhren muss und wird.

Für das „zu sein“ zur Seite des „müssen“ prägt Heidegger später den Be­griff reine Dasshaftigkeit, d.h. zu dieser Seite ist „zu sein“ durch Je­meinigkeit gekennzeichnet, die die einzige nicht inhaltliche Bestimmung ist, die ein Dasein haben kann, das reine Dasshaftigkeit, also ohne je­den Wasgehalt ist. Und ein Sein ohne Wasgehalt hat nur eine Bestimmung, je meines zu sein. Hatte Heidegger die Seite des „sollen“ nicht so un­terbelichtet, dann wäre ihm der Rückzug auf eine rein formale Dasshaftigkeit nicht möglich gewesen, zumal ein Sollen letztlich nur inhaltlich bestimmbar ist. Wenn also die Bestimmung „zu sein“ changiert vom „müssen“ zum „sollen“, dann übersteigt sie damit in gewisser Weise auch die Jemeinigkeit in Richtung auf eine Allgemeinheit, die aber kein Thema von „Sein und Zeit“ sein soll. Zu fragen ist hier, ob im Sollen ein Sollen indivi­dueller inhaltlicher Bestimmungen liegt oder ein Sollen von allgemein­inhaltlichen Bestimmungen. Dass aber Allgemeinheit in „Sein und Zeit“ nicht vorkom­men soll, inhaltlich bestimmte schon gar nicht, dass hat man schon zuvor sehen können, als Heidegger um den heißen Brei redete, um nicht sagen zu müssen, Sein sei das aller Allgemeinste.

Hei­degger nimmt dann zwar diese Bestimmung in Anspruch, sie darf aber nicht bestehen, weil er Allgemeinheit zugunsten von Jemeinigkeit hin­auswerfen will. Allgemeinheit bleibt so lediglich bestehen in der strukturellen Vorgabe der Jemeinigkeit. Jemeinigkeit unseres Daseins ist uns allen gemeinsam, insofern allgemein. Wenn man aber davon aus­geht, dass im Sollensaspekt von „zu sein“ ein Sollen nach inhaltlichen Bestimmungen liegt, dann hat man ein Moment von Allgemeinheit, das die Jemeinigkeit transzendiert auf eine Ebene hin, in der sich eine ethische Dimension der Fundamentalontologie eröffnet. Allerdings berührt selbst eine allgemeine, inhaltliche Sollensvorstellung das Fak­tum der Jemeinigkeit nicht. Alle Imperative treffen jeweils auf ein jemeiniges Dasein, berühren also das Faktum der strukturellen Gegebenheit des Daseins überhaupt nicht, zumal es sich dabei dann ja um inhaltlich bestimmte Imperative handelt. Insofern ist dann auch beliebig, ob un­ter einem Sollen ein allgemein verbindliches verstanden wird, oder ein Sollen, das besagt, ich habe meine eigentliche Seinsart zu ergreifen. Die zweite Grundbestimmung ist also immanent interpretierbar, muss dann aber in ein Verhältnis zur ersten gesetzt werden. In Bezug auf dieses Verhältnis lautet Heideggers These, wir haben hier zwei Momente, die als einzelne nicht existieren können. Sie sind Grundmomente der ein­heitlichen Seinsverfassung des Daseins, also einerseits die Faktizität der Überantwortung, und andererseits die Existenzialität. Zu beiden Seiten hin wird dieser Grundansatz der Daseinsanalytik weiterbestimmt.

Auf der einen Seite läuft die Bestimmung über die Begriffe Existenzialität, Entwurf, Verstehen, auf der anderen Seite über die Begriffe Faktizität, Geworfenheit, Befindlichkeit. Die ganze Grundstruktur hat Heidegger von Kierkegaarde übernommen, wie er sie am Anfang der „Krank­heit zum Tode“ entwickelt hat, wo er die These aufstellt, „Der Mensch ist eine Synthesis von Unendlichkeit und Endlichkeit, von dem Zeitlichen und dem Ewigen, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Syn­thesis. Eine Synthesis ist ein Verhältnis zwischen Zweien.“ (S. 8) Die Grundbestimmung ist hier die von Freiheit und Notwendigkeit, wobei Freiheit als Möglichkeit verstanden werden muss, und Notwendigkeit nicht im Sinne von Wesensnotwendigkeit, sondern im Sinne einer Notwendigkeit, die in sich Schicksal ist, nämlich als schicksalhaftes Festgelegtsein auf das, was ich bin. So wie diese Grundbestimmung Kierkegaardes in „Sein und Zeit“ transportiert wird, so taucht sie auch in Sartres „Das Sein und das Nichts“ wieder auf.

In diesem Punkt ist die ganze Existenzphilosophie eine Auslegung Kierkegaardes. Wichtig ist hier, dass es sich um zwei Momente einer einheitlichen Seinsverfassung handelt, wobei beides be­tont werden muss, die Einheitlichkeit der Seinsverfassung und die Unter­schiedenheit der Momente. Die Zweideutigkeit von „zu sein“ als „sol­len“ oder „müssen“ spiegelt sich dann auch im Verhältnis der beiden Grundbestimmungen zueinander. Denn wenn „zu sein“ „müssen“ heißt, dann hat man das Verhältnis so, wie es auch ausgearbeitet ist, nämlich als Faktizität der Überantwortung, die unterschieden ist von der Seite der Existenzialität, also dem Entwurf und dem Verstehen, zumal diese Faktizität der Existenzialität vorgelagert ist. D.h. ich muss schon immer in die Welt geworfen sein, um entwerfen, um verstehen zu können.

Schelling würde sagen, der dunkele Untergrund der Existenz, die reine Faktizität als die nicht erhellte Basis, auf der alles Verstehen und jeder Entwurf auf­baut. Wenn nun aber „zu sein“ auch „sollen“ heißt, dann ist dieses „zu sein“ der Existenzialität, dem Verstehen, dem Entwurf nicht vorgelagert, son­dern es bedeutet, dass ich dies auch soll, nämlich dass es mir in meinem Sein um mein eigenes Sein geht. Diese Bestimmung konnte man auch mit dem Begriff Wollen übersetzen, wenn man Heideggers Aversion gegen die­sen Begriff missachtet. Menschliches Dasein ist so, dass es notwendig sich selbst, d.h. sein eigenes Sein will. Also, in der Bedeutung von „sollen“ heißt „zu sein“, das Dasein hat es zu wollen, dass es sein Sein will. Nun gibt es an dieser Stelle aber wieder mindestens drei Bedeu­tungen von Sein. D.h. es gibt auch drei verschiedene Möglichkeiten, das „sollen“ zu verstehen. Sein kann erstens verstanden werden als Exis­tieren, im Sinne von leben wollen, zweitens als Selbst sein wollen, im Sinne des Ergreifens vermeintlich eigener Seinsmöglichkeiten, die dann individuell inhaltlich bestimmt sein mussten, und drittens, das Dasein hat dies selbst zu sein, dass es ihm um sein Sein im Sinne der Bedeu­tungen von 1. und 2. geht.

Wir haben hier also eine Seite des „zu sein“ nicht als Faktizität der Überantwortung, die als Geworfenheit der Existenzialität, dem Verstehen, dem „gehen um“, dem Entwurf vorgelagert ist, sondern wir haben hier ein „zu sein“ als die Gebotenheit des Wol­lens, des Willens. Dass Heidegger diese Möglichkeit nicht explizit aus­schöpft, ist dadurch motiviert, dass er bei rein formalen Bestimmungen bleiben mochte und vor dem schwierigen -Unternehmen zurückschreckt, gerade in Bezug auf die zweite Bedeutung von Sein, nämlich Selbst sein, die katalysatorische Frage zu stellen, inwieweit Selbst sein inhalt­lich bestimmt werden muss oder auch rein formal bestimmt werden kann. Danach wie man diese Frage auseinanderlegt und zu Antworten gelangt, bemisst sich der Grad; in dem man davon sprechen kann, dass in der Be­stimmung „zu sein“ eine normative oder ethische Konzeption steckt.

Eine formale Bestimmung wäre zu sagen, es ist so, dass jeder sein Sein zu sein hat, es ist also so, dass jeder er selbst zu sein hat. Eine solche formale Bestimmung bewegt sich aber allein auf der existenzialen Sei­te. In Bezug auf die existentielle Seite stellt sich dann aber die Fra­ge, welche Kriterien existieren, nach denen ich bemessen kann, ob ich schon ein eigentliches Dasein bin, oder was ich tun muss, um mich als ein solches zu realisieren. An dieser Stelle gibt es nun zwei verschie­dene Antwortstrategien. Erstens, man kannte sagen, diese Kriterien, also diese inhaltlichen Bestimmungen hängen ab von den jeweiligen in­dividuellen Kapazitäten oder Veranlagungen eines Daseins, sowie von seiner jeweiligen konkreten Lebenssituation. D.h. in einer solchen for­malen Bestimmung wird lediglich darauf verwiesen, dass es nur indivi­duelle inhaltliche Kriterien gibt, und daher keine allgemeingültigen angegeben werden können.

Der formale Zug einer solchen Bestimmung liegt also darin, dass allein auf das Faktum verwiesen wird, dass Dasein je­weils ein Selbst sein zu sein hat. Eine andere Strategie wäre dann zu sagen, nein so ist es nicht, es gibt vielmehr allgemeingültige Krite­rien, also inhaltliche Bestimmungen, nach denen wir uns richten müssen, wenn wir das Gesollte wollen, nämlich uns als ein eigentliches Dasein zu verwirklichen. Ich behaupte nun, dass Heidegger in die Bredouille ge­rät, im Sinne der zweiten Möglichkeit antworten zu müssen. Dieser Be­hauptung werde ich im Zusammenhang der Konkretisierung des Status und der methodischen Funktion von Selbst sein bzw. Eigentlichkeit nachge­hen.

Der Weg von Kierkegaarde zu Heidegger bedeutet also nicht nur einen Fortschritt, sondern auch einen Ruckschritt. In Bezug auf die „gehen um“ Bestimmung zeigt sich die Überlegenheit Kierkegaardes. Er gestaltet sein Konzept von vorneherein so, dass er die Faktizitäten, die letztlich beiden Grundbestimmungen zugrunde liegen, begrifflich genau unterschei­den kann. Wir haben hier einerseits die Notwendigkeit, die ein Moment der Synthese ist, heideggerisch formuliert, die ein Moment der einheit­lichen Seinsverfassung ist, und andererseits haben wir die Faktizität des Gesetztseins des Selbst selbst.

Dieses Selbst ist so konstituiert, wie Kierkegaarde mit Fichte sagt, dass es in das Setzen, das es ist, ­das Dasein muss immer setzen – dass es also in das Setzen, das Sich Setzen immer schon eingesetzt ist. Das ist die Seite einer Faktizität die man nicht als Geworfenheit von dem Entwurf oder Verstehen unter­scheiden muss, sondern die die Faktizität des Entwurfes selbst ist. Also die Faktizität dessen, dass ich immer schon setzte, entwerfe, Entwerfen bin, immer schon Verstehen bin, mich verstehe, Welt verstehe, Sein ver­stehe. Und das heißt mit Heidegger, zu verstehen habe.

Hier zeigt sich erneut, dass man von Selbst sein, nicht Selbst sein, also Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit in Heideggers Sinne nichts versteht, wenn man nicht das „gehen um“ mitvollzieht als das Verstehen meiner selbst und dieses Verstehen meiner selbst impliziert-das habe ich in den Antwort­möglichkeiten 6 und 7 zu zeigen versucht, wo die Bestimmung Sein als zukünftige Existenz beleuchtet wurde, – letztlich das Verstehen von Sein als meiner einheitlichen Seinsverfassung, ein Verstehen, das ein gebotenes Verstehen ist. Und dieses Gebotene einzuhalten, ist uns als uneigentliches Dasein nicht möglich, weswegen dieses eben uneigentlich heißt. Als uneigentliches Dasein genügen wir einem Sollensanspruch nicht, der nach Heidegger eingebaut ist in die Struktur der mensch­lichen Existenz.

Mit einem Willensbegriff als Interpretationshilfe für die Problemstel­lung „zu sein“ als „müssen“ bzw. „sollen“ lässt sich also unheidegge­risch unterscheiden: das „müssen“ steht für die vorgelagerte Faktizität als Basis, auf der das Wollen als „gehen um“, also die Existenzialität, das Entwerfen, das Verstehen aufbaut. Aber dieses Wollen kann man – metaphorisch gesprochen – wieder auftragen auf ein tiefer sit­zendes Fundament, das Fundament eines Sollens. Und man musste dann sa­gen, dieses Wollen ist selber ein gesolltes Wollen. Man kann dann aber einwenden, dass ein gesolltes Wollen kein echtes, freies Wollen mehr ist. Sollen schließt quasi Freiheit aus.

Heute überwiegt diese Neigung zu sagen, ein gesolltes Wollen ist kein echtes Wollen mehr, sofern Freiheit unter Bedingungen gestellt wird. Dies lässt sich an der Ent­wicklung des Autonomiegedankens ablesen. Kant dachte Autonomie noch vom Sollen her. Dagegen wird heute auch in der analytischen Philo­sophie Autonomie immer mehr vom reinen Wollen her gedacht. Also, auto­nom bin ich, wenn ich tun kann, was ich will. Bisher war man aller­dings 2000 tausend Jahre lang in der Philosophie der Auffassung, dass ein nicht gesolltes Wollen ein defizienter Modus von Freiheit ist, nämlich Willkür. Echte Freiheit wurde als ein gesolltes Wollen verstanden.

In diesem Punkt gehört Heidegger zu einer Tradition, die heute immer mehr verabschiedet wird. So wie für ihn selbstverständ­lich ist, dass Dasein die Struktur eines Worum-willen hat, so ist es für die 2000 tausendjährige Philosophietradition klar, dass dieses Wol­len (Worum-willen) ein gesolltes Wollen ist. Letztlich muss man sagen, Dasein ist von Anfang an „zu sein“, weil es ständig vor der Entschei­dung steht, es selbst oder nicht es selbst zu sein. Das Sich Drücken vor dieser Grundentscheidung ist immer schon eine Grundentscheidung. (Mit dieser Feststellung wird allerdings die nicht unwichtige Aufklärungs- und Bewusstwerdungs­problematik verwischt.) Die Faktizität des Entwurfes, also der Existenzialität selbst, auszuarbeiten, die zu unterscheiden ist von der Faktizität der Überantwortung der Gewor­fenheit, bedeutet, dass das Sollensmoment des „zu sein“ auftaucht. In diesem Unternehmen sprengt man aber schon den Rahmen einer reinen Selbstseinstheorie.

Man sieht sich dann mit Problemen konfrontiert, von denen sich eine Selbstseinstheorie, die Züge einer Selbstverwirklich­ungsideologie tragt, befreit. Selbstverwirklichung (Selbst sein) steht als ein Programm der Existenzphilosophie nicht nur in Opposition zu einer sozialen Allgemeinheit, d.h. sie hat nicht nur asoziale Züge, sondern dieses Programm leidet zumeist auch unter der Verkennung der Bedingungen von Selbst sein, Bedingungen, die sich in den Begriffen Subjekt Objekt wesentlich besser fassen lassen. Gerade der Aspekt, dass Heidegger Uneigentlichkeit, also nicht Selbst sein, fortbestimmt über den Begriff Verfallen, der ein Verfallen an Welt meint, muss noch aus­einandergelegt werden. Denn in dieser Fortbestimmung wird ein Fak­tum negativ besetzt, was andererseits zur Seinsverfassung des Daseins geh8rt, Weltlichkeit, In-der-Welt-sein. Hierin, dass Heidegger dieses Faktum negativ besetzt, es dann als ein Strukturmoment des Daseins festschreibt, eingebunden in eine Konzeption, die als formale, Geltung für alle Zeiten beansprucht, ist die schwächste Stelle von „Sein und Zeit“ zu er­blicken. Die realen gesellschaftlichen und historischen Bedingungen, die Heidegger dazu bringen, Weltlichkeit negativ zu besetzen, werden von ihm nicht thematisiert. Dies zu tun, kann aber geradezu als die Eintrittskarte zur Diskussion des Problemzusammenhanges der Moderne betrachtet werden. Also, Selbstverwirklichung hat in der Existenzphilosophie Zuge eines asozialen Programms.

Reflektiert man nun auf den Sollensaspekt, der in der Bestimmung „zu sein“ liegt, dann reflektiert man automatisch auf eine Allgemeinheit. Fichte hatte sich ja in seinem Buch „Die Bestim­mung des Menschen“ für den Sollensaspekt stark gemacht. In diesem Titel wird der schon angesprochene aristotelische Titel aufgenommen, der im 6. Kapitel des 1. Buches der Nikomachischen Ethik lautet „das Werk des Menschen“, d.h. das, was jeder Einzelne der Menschengattung zu verwirklichen hat, „zu sein“ hat im Sinne eines Sollens. Aber eine Rückkehr zu einer Philosophie der Bestimmung des Menschen kann genauso wenig befriedigen wie eine reine Selbstseinstheorie. Die Erste ist insofern problematisch, als dass sich Einwande gegen den Freiheitsgedan­ken formulieren lassen (das Problem eines gesollten Wollens), der im Ge­danken der Bestimmung des Menschen liegt. Dieser Gedanke wurde so ge­dacht, dass das Individuum hineingedruckt wird in eine Bestimmung, die über das Individuum herrscht, und das heißt aber auch, eine Art von Selbstentfremdung produziert. Und bis heute besteht noch das ethische Kernproblem, ein Wahrheitsmoment der Tradition der Bestimmung des Men­schen so aufzunehmen, dass eine entfremdende Herrschaft wegfällt, ohne dass das Wegfallen einer Herrschaft auf Willkür oder Anarchie hinaus­lauft.

  1. Der Status und die methodische Funktion von Eigentlichkeit

Im Folgenden soll nun die Frage nach dem Status und der methodischen Funktion von Selbst sein bzw. Eigentlichkeit angegangen werden. Dabei ergeben sich zwangsläufig auch erste Bestimmungen für eine Reformulie­rung der einheitlichen Seinsverfassung des Daseins. Diese soll aber nochmals im Anschluss mit Hilfe des geschichtstheoretischen Begriffs­paar Struktur und Prozess versucht werden.

Die Frage nach dem Selbst sein des Daseins lässt sich nicht beantworten, indem man sagt, sofern das Dasein immer schon die Möglichkeit seiner selbst ist, es selbst oder nicht es selbst zu sein, ist es immer schon es selbst. Offensicht­lich ist das „selbst“ in der „Möglichkeit seiner selbst“ (S. 12) an­ders zu verstehen als das „selbst“ in „es selbst oder nicht es selbst zu sein“ (S. 12). Diese Möglichkeit seiner selbst ist in sich gar nichts anderes als die in sich zweifache Möglichkeit, sich entweder von sich her zu verstehen, oder sich von dem her zu verstehen, was das Dasein nicht ist, nämlich von der Welt her.

Das Problem liegt aber in einem anderen Punkt, nämlich in der Definition des Begriffes Seinsart. Dieser Begriff kann zunächst übersetzt werden in den Begriff Vollzugs­weise. Insofern gehören die Seinsarten zur Seite des Existierens, also zur existentiellen Seite. Aber vom Existieren ist ja zu unterscheiden die Existenz. Da aber Existenz nichts anderes ist als die Abstraktion vom Faktum des Existierens, das bedeutet, sich immer schon entschieden haben für eine Seinsart bzw. sich entschieden haben für die Realisie­rung einer Seinsart, bedeutet Existenz durch den Abzug des Zeitmodus Gegenwart und durch Projektion auf den Zeitmodus Zukunft nichts ande­res als den zukünftigen Raum des Existierens, der dann folgerichtig durch die Strukturnotwendigkeit gekennzeichnet ist, dass wir im exis­tierenden Eindringen in den zukünftigen Raum zu wählen haben, zwischen den Möglichkeiten zu sein, d.h. ich selbst oder nicht ich selbst zu sein, bzw. ein- eigentliches oder ein uneigentliches Daseins zu sein.

­Daraus folgt, die Seinsarten sind nicht nur als aktualisierte Vollzugs­weisen zu begreifen, sondern sie bilden zusammen als Strukturnotwen­digkeit die Existenz. Bringt man nun das Existieren auf den Begriff Prozess und die Existenz auf den Begriff Struktur, so erhalt man das Pseudoproblem, dass es so aussieht als gäbe es eine vorgängige Struktur (Existenz) und dann nachträglich im Prozess realisierte Seinsarten. Nun hatte ich bereits behauptet, dass in der Aussage, das nicht Treffen einer Grundentscheidung ist eine Grundentscheidung, die Problematik einer Bewusstwerdung eingeebnet wird. Nun erweist sich, dass erst über die Verwirklichung einer Seinsart davon gesprochen werden kann, dass ein Dasein sich entschieden hat oder nicht. Nur vom Selbst sein kann man allein behaupten, dass Dasein hat sich dafür entschieden. Von der Uneigentlichkeit kann man zwar auch behaupten, dass Dasein habe sich dafür entschieden, es kann aber genauso gut darin hineingeraten sein oder darin aufgewachsen sein. Also von Wählen, Entscheiden, Grundentscheiden kann hier nicht die Rede sein.

Das Dasein ­ist es selbst, heißt dann, es ist in seinem faktischen Existieren, was es seiner eigent­lichen Seinsart nach ist. Nicht Selbst sein heißt dann, es ist in sei­nem faktischen Existieren nicht, was es seiner eigentlichen Seinsart nach ist. Letzteres nennt Heidegger dann ja Uneigentlichkeit. Dieser Begriff und der der Eigentlichkeit werden im Weiteren noch sehr ange­reichert. In Eigentlichkeit fließt ein heroisches Moment ein, während Uneigentlichkeit über die Begriffe Verfallen, Verfallen an das „Man“, Verfallen an die Tradition, Verfallen an die Welt negativ besetzt, fortbestimmt wird. Der Gegenstand des existenzialen Verstehens muss als Sein des Daseins so gefasst werden, dass darunter die einheitliche Seins­verfassung des Daseins verstanden wird, als die Existenzialität, nicht als Struktur der zukünftigen Existenz allein, sondern als Strukturzu­sammenhang von Existenz und Existieren, denn so etwas wie zukünftige Existenz ist nur verstehbar, wenn man sie als Abstraktion vom Faktum des Existierens begreift. D.h. der Gegenstand des existenzialen Ver­stehens ist mitbestimmt durch den Gegenstand des existentiellen Ver­stehens.

Vereinfacht gesagt, geht man davon aus, dass sich im Existie­ren verschiedene, realisierte Seinsarten finden lassen, so definieren diese als Wahlmöglichkeiten die jeweils zukünftige Existenz. Sollte Heidegger ernsthaft die These vertreten wollen, was ich bezweifele, dass der Prozess, das Existieren, der faktische Existenzvollzug nichts anderes ist als die nachträgliche Realisierung einer vorgegebenen Struktur, so kann zweierlei geantwortet werden: erstens, das ist Unsinn im wörtlichen Sinne, zweitens, er hat in gewisser Weise recht. Un­sinn ist es deshalb, weil diese Struktur die der zukünftigen Existenz ist, d.h. diese Struktur kann nur als Erkenntnisgegenstand realisiert werden, ansonsten kann man nur ein sie definierendes Moment realisie­ren, nämlich eine Seinsart. Gegen diese Variante kann man nichts ein­wenden; sie leitet auch über zur zweiten Antwort. Eine vorgelagerte Struktur wird genau dann realisiert im Sinne von verwirklicht, wenn man unter Struktur nicht die Struktur der zukünftigen Existenz versteht, sondern das Dasein als zu formende Struktur begreift, und wenn man die Seinsarten, die zusammen die Struktur der zukünftigen Existenz bilden, jeweils als Struktur begreift.

Die Realisierung einer vorgelagerten Struktur heißt dann z.B., eine uneigentliche Daseinsstruktur (Mensch) erkennt die vorgelagerte, mögliche, eigentliche Daseinsstruktur und entscheidet sich diese zu verwirklichen. D.h. eine faktisch existie­rende Struktur beschließt, sich im Sinne einer vorgelagerten Struktur zu strukturieren. Ob man damit zu viel Sprachgewalt bemüht, um einer unterschwelligen These Heideggers Sinn abzugewinnen, sei dahin ge­stellt.

Entscheidend ist nun, was man genau unter vorgelagert verste­hen will. Zeitlich gesehen ist uns eine solche Struktur nicht vor, son­dern nachgelagert. Da zukünftige Existenz aber als ein Zeit-Raum ge­dacht werden muss, kann man das vor- auf den Raum beziehen. D.h. vorge­lagert ist eine Struktur dadurch, dass sie in einem vor uns liegenden Raum ist, in den wir vorstoßen. Dass Heidegger der oben formulierten These unterschwellig nachhangt, steht ohnehin in Spannung dazu, dass er sich andererseits über die ontische Verwurzelung ontologischer Frage­stellungen bewusst ist. Heidegger verweist nur dunkel auf diesen Zusam­menhang: „Die existenziale Analytik ihrerseits aber ist letztlich existentiell, d.h. ontisch verwurzelt.“ (S. 13) oder „Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu brin­gen.“ (S. 12)

Die Seinsarten haben also zwei verschiedene Formen von Realität, einerseits eine Realität als Möglichkeit, hier existiert ei­ne Seinsart als etwas potenziell Realisierbares, andererseits als Realität im Sinne einer verwirklichten Seinsart, die im Moment ihrer Reali­sierung aufhört, Möglichkeit zu sein und faktische Realität des Voll­zuges einer Seinsart ist. Konstruktiv deutet man Heidegger nicht, indem man ihm die These unterlegt, er denke eine vorgelagerte Struktur und dann eine nachträgliche Realisierung, sondern indem man sagt, er denkt eine Realisierung in zweifacher Hinsicht, zunächst als Erkenntnis der einheitlichen Seinsverfassungs d.h. als Erkenntnis der zukünftigen Struktur, und dann eine Realisierung einer Seinsart, die als Struktu­rierung der eigenen Daseinsstruktur gedacht werden kann.

In der ersten Deutung läuft Heideggers These ins Wasser, in der zweiten kommt man zu einem aufschlussreichen Kurzschluss: denn die Realisierung als Erkennt­nis der einheitlichen Seinsverfassung ist letztlich genau das, als was sich ein eigentliches Dasein zu strukturieren hat. Diese These werde ich später noch fortfuhren. Die zweite Deutung kommt allerdings durch eine Differenzierung des Strukturbegriffes zustande. Struktur heißt nicht allein die strukturelle Vorgabe verschiedener Seinsarten, also Existenz, sondern auch Daseinsstruktur, als dasjenige, an dem sich die Realisierung einer Seinsart als Strukturierung der Daseinsstruktur vollzieht.

Dieser Befund nötigt dann aber auch nach dem Status und der methodischen Funktion von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zu fra­gen. Heidegger muss also letztlich den Gegenstand der Existenzialanaly­tik auch durch das Existentielle definieren. Nicht umsonst lässt Hei­degger die Alternativen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit bereits am Anfang durch die Begriffe Selbst sein nicht Selbst sein in sein Funda­ment ein. Er tut dies, weil es zu kurz greift zu sagen, da gibt es Strukturen, die der Gegenstand der theoretischen Bemühung sind, und dann gibt es die ontische Angelegenheit des Existierens.

Vielmehr ist der Gegenstand der Existenzialanalytik nur bestimmbar durch die Reflex­ion auf das Existentielle, das nicht nur Material der Analyse ist, son­dern die Basis der Analyse, nämlich je wir selbst, die explizit Onto­logie betreiben. Heidegger neigt dazu, diese Anleitungsfunktion des Existentiellen zu wenig zu belichten zugunsten der Abstraktion auf formale, existenziale Strukturen. In diesem Sinne zielt der Begriff Struktur im Zusammenhang mit Existenz auch nicht auf eine faktisch existierende Struktur, sondern eben auf eine zukünftige Existenz, die faktisch nicht existiert, nicht existieren kann. Heidegger untersucht also pri­mär nicht ein faktisch Seiendes, genannt Mensch, und auch nicht dessen Daseinsstruktur, sondern er konzentriert sich auf die Strukturellen Vorgaben, die eine jeweils künftige Existenz bestimmen, und unter den­en der Mensch steht. Im Blick auf dieses Sein geht der Zusammenhang zu einem dazugehörenden Seienden teilweise seiner Transparenz verlus­tig.

Es wurde nun angedeutet, dass das Existentielle eine nicht unwesent­liche Rolle für die Existenzialanalytik spielt. Und mit der Frage nach der Zugänglichkeit des Existentiellen stellt sich zugleich auch wieder die Frage nach der methodischen Funktion und dem Status der Seins­arten. Diesen Fragenkomplex geht Heidegger in Paragraf 5 an, in dem allerdings noch die Bestimmung von Alltäglichkeit hinzukommt, deren Beziehung zur Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit selbst ein Problem ist.

In Paragraf 5 lautet die neue Frage: „wie soll dieses Seiende, das Dasein zugänglich und im verstehenden Auslegen gleichsam anvisiert werden?“ (S. 15) Indem Heidegger diese Frage stellt, nimmt er das Pro­blem auf, dass man zwar vom Faktum des vorontologischen Seinsverständnisses ausgehen kann, dass dieses Verständnis aber nicht Leitfaden einer auszuarbeitenden Ontologie ist. Warum dies so ist, lässt sich der Seite 15 entnehmen, was aber der Leitfaden ist, kann nur im Vorgriff auf ei­nen anderen Paragrafen beantwortet werden: „Das Dasein ist zwar on­tisch nicht nur nahe oder gar das nächste – wir sind es sogar je sel­bst. Trotzdem oder gerade deshalb ist es ontologisch das Fernste.“ (S. 159)

Gemeint ist damit, dass das Dasein sein Sein zumeist und zunächst nicht richtig versteht: „Das Dasein hat vielmehr gemäß einer ihm zuge­hörigen Seinsart die Tendenz, das eigene Sein aus dem Seienden her zu verstehen, zu dem es sich wesenhaft ständig und zunächst verhalt, aus der Welt.“ (S. 15f) Das Dasein versteht sich von dem her, was es nicht ist, daher kann sein vorontologisches Seinsverständnis nicht den Leitfaden abgeben, der für die Aufklarung seines eigenen Seins und des Seins überhaupt benötigt wird. Zweierlei fallt hier auf, einerseits kann man mit der Hegel-Marxschen auch Kierkegaardeschen Tradition sa­gen, das Urfaktum ist die Negativität, die darin besteht, dass das Da­sein sich missversteht, indem es sich von dem her versteht, was es nicht ist, Welt. Weltlichkeit wird also nicht nur von Heidegger, son­dern auch von der Tradition negativ besetzt.

Heidegger schreibt diese Negativität im Begriff der Uneigentlichkeit fest. Dass diese in einem asymmetrischen Verhältnis zur Eigentlichkeit steht, deutet sich schon darin an, dass er von einer zum Dasein „gehörigen Seinsart“ spricht, und dass diese Seinsart Uneigentlichkeit einerseits nicht zu überwinden ist, andererseits überwunden werden können muss, liegt schon in der Formulierung „ständig und zunächst“. Ständig, da Weltlichkeit als ein Moment der Seinsverfassung des Daseins nicht übersteigbar ist, und „zunächst“, da Heidegger ohne ein Gegenmoment, nämlich Eigentlichkeit, nicht auskommt.

Heidegger geht also von einer basalen Negativität des sich missverstehenden Daseins aus, d.h. er arbeitet in gewisser Weise mit einem methodischen Negativismus, der ein Grundzug der von Hegel herkom­menden und von ihm abspringenden Philosophie ist. Ein gemeinsames Kenn­zeichen dieser Tradition besteht darin, dass sie aus dem Negativen her­aus eine Anzeige auf das Positive hin zu gewinnen versucht. Sie be­ginnt bei Kierkegaarde z.B. mit der Analyse der Negativphänomene Angst und Verzweiflung und versucht aus ihrer Analyse heraus, so etwas wie Glauben, religiös verstanden, und allgemeiner gefasst, so etwas wie Sel­bst sein verständlich zu machen. Die These wäre also zunächst, man kann von so etwas wie Selbst sein gar nicht ausgehen. Dieser metho­dische Negativismus kennzeichnet nicht nur die existenzphilosophische Tradition, sondern genauso die gesellschaftskritische Tradition, die von Marx z.B. zu Adorno läuft. Der Marx von 1867, der im Vergleich zu dem der 40er Jahre ein zureichendes Selbstverständnis gefunden hat, geht aus von dem Negativen des Kapitals als eines Schein- und Verblen­dungszusammenhanges und er hat die Hoffnung in der kritischen Darstel­lung dieses Negativen, das Positive herausstellen zu können, das ein­fach nicht vorliegt, von dem wir nicht ausgehen können.

Das ist ein Grundgedanke, der auch noch bei Adorno besteht, etwa in der Aus­sage, dass eine Analyse der Freiheit nur eine Chance hat, wenn wir bei einer bestimmten Freiheit ansetzen, also einer, die unter Bestimmungen steht. Eine Positionsbestimmung von „Sein und Zeit“ gelingt nur, wenn man versucht die Reichweite des methodischen Negativismus in der heideggerischen Variante zu bestimmen. Wie weit kommt er damit, dass er in einer Absetz­bewegung einerseits ausgeht von dem Negativen eines sich missverstehen­den Daseins, aber andererseits sagt, das kann nicht der Leitfaden sein.

Diese Spannung zeigt sich dann auch in der Ambivalenz, die darin liegt, dass Heidegger zum Einem von einer Tendenz (zunächst) spricht und zum anderen von einer Realität (ständig) spricht, und beides fortbestimmt als Verfallen. In dieser Ambivalenz liegt die Differenz in der Geneigt­heit zu verfallen und dem Faktum der Verfallenheit. Genau hier hatte Heidegger eine weitergehende Differenzierung vornehmen müssen, denn recht besehen ist das, was es verdient, durch die Begriffe Uneigent­lichkeit und Verfallen negativ besetzt zu werden, nichts anderes als jene Geneigtheit und das ihr Nachgeben. Das Faktum, was besteht und immer bestehen bleibt, nämlich Weltlichkeit als ein Moment der Seins­verfassung des Daseins, verdient die negative Besetzung durch den Be­griff Verfallenheit „eigentlich“ nicht. Doch Heidegger nimmt diese Dif­ferenzierung nicht vor.

Das hat Auswirkungen auf die Frage nach dem Status und der methodischen Funktion von Eigentlichkeit und Uneigent­lichkeit. Doch gibt es noch eine weitere, für die Systematik von „Sein und Zeit“ wichtige Ambivalenz. Verfallenheit ist ja als eine Seinsart definiert. Und dennoch bildet auch sie ein Strukturmoment der jeweils zukünftigen Existenz. Das zeigt sich an der in „Sein und Zeit“ phrasenhaft benutzten Floskel „zunächst und zumeist“. „Zunächst“ meint, so wie ich Dasein unmittel­bar vorfinde. Und „zumeist“ heißt, wie es durchschnittlich ist. Durch­schnittlichkeit heißt dann, dass Dasein meistens durch Verfallenheit ge­kennzeichnet ist. Und die Art, wie das Dasein zunächst und zumeist ist, ist natürlich eine Seinsart. Und obwohl dies der Fall ist, nimmt Hei­degger dieses Verfallen auf in die Reihe der Momente der Seinsverfas­sung des Daseins, die da sind Faktizität, Existenzialität, Verstehen und Befindlichkeit und dann auch Verfallen. Verfallen ist in dieser Reihe zwar schon ohnehin enthalten, nämlich als eine der beiden Seins­arten, die zusammen die Existenz definieren, doch das Neue besteht da­rin, dass Verfallen als die Seinsart ausgewiesen wird, die das Dasein auf jeden Fall ist, bzw. realisiert.

Darin liegt in gewisser Weise die Antwort auf das Problem, dass Heidegger von dem sich missverstehenden Dasein ausgeht, das aber nicht Leitfaden der Existenzialanalytik des Daseins sein kann. Das „zunächst und zumeist“ indiziert also eine All­gemeinheit, die über eine empirische Allgemeinheit hinausgeht und als Wesensnotwendigkeit oder Struktur des Daseins in Anspruch genommen wird. Wenn man in Verfallenheit nun nichts anderes hineinliest als den Verweis auf das Strukturmoment Weltlichkeit, ließe sich dagegen nichts einwenden. Doch Verfallenheit hat auch die Seite Geneigtheit. Und in Bezug auf diese Bedeutungsseite ist die These eine reine Unterstellung. Die Unterstellung besteht etwa darin, dass dem Dasein eine gewisse Bös­willigkeit unterlegt wird, die darin besteht, dass es sich weigert, Sel­bst zu sein, und stattdessen lieber in einem negativen Sinne an die Welt verfallt.

Man müsste also eigentlich zwei Seiten der Negativität des sich missverstehenden Daseins unterscheiden. Auf jeden Fall sieht man sich nun mit der Folge konfrontiert, dass das Verhältnis von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit ein asymmetrisches ist. Uneigentlich­keit ist in dieser Beziehung das Wichtigere. Von Eigentlichkeit lässt sich mit Heidegger dann sagen, sie sei eine existentielle Modifikation der Uneigentlichkeit.

Man darf gespannt sein, wie dies zu denken, ja zu realisieren sein soll, denn ist die Uneigentlichkeit erstmal festge­schrieben, wie soll sie dann noch modifiziert werden? Nun gibt es allerdings noch eine indifferente Struktur, die sowohl der Eigentlich­keit als auch der Uneigentlichkeit zugrunde liegen soll, die Alltäglich­keit: „Und zwar soll sie (die Daseinsanalytik, DDP) das Seiende in dem zeigen, wie es zunächst und zumeist ist, in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit. An dieser sollen nicht beliebige und zufällige, son­dern wesenhafte Strukturen herausgestellt werden, die in jeder Seinsart des faktischen Daseins sich als seinsbestimmende durchhalten.“ (S. 1Ef) Wenn Alltäglichkeit wesenhafte Strukturen hat, die sich seinsbestimmend in jeder Seinsart durchhalten, also diesen zugrunde liegt, dann ist Alltäglichkeit auch eine Struktur, die sich von beiden Seinsarten unter­scheidet. Eigentliches und uneigentliches Dasein sind aber dann auch in gleicher Weise ein alltägliches Dasein. Diese Folgerung läuft aber der Gewichtung der Uneigentlichkeit als das „zunächst und zumeist“ zu­wider.

Dieser Widerspruch lässt sich nur losen, wenn man Eigentlichkeit in den Rang einer reinen Denkmöglichkeit erhebt, (etwa so wie Kant sich genötigt sah, sich auf ein moralisches Bewusstsein als Denkmöglich­keit zu beziehen, da er es nicht als faktisch gegeben ausweisen konn­te), oder wenn man alltäglich nicht mit faktisch gegeben in Verbindung bringt. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Heidegger im Folgenden Alltäglichkeit immer mehr mit Uneigentlichkeit zusammenfal­len lässt, bis sie schließlich faktisch zusammenfallen sollen. Er fasst dann Alltäglichkeit als ein Synonym für Uneigentlichkeit auf. Aber auch dies ist in gewisser Hinsicht wieder verständlich, nämlich wenn sich erweisen sollte, dass Eigentlichkeit nur als Denkmöglichkeit besteht oder gar ein defizienter Modus des Daseins ist.

Alltäglichkeit konnte sich dann als das erweisen, was Eigentlichkeit geradezu unmöglich macht. Die Frage nach der Möglichkeit von Selbst sein, den Bedingungen von Eigentlichkeit schmilzt an dieser Stelle zusammen mit der Frage nach dem Leitfaden der Daseinsanalytik: „es darf keine be­liebige Idee von Sein und Wirklichkeit“, deren Zusammenhang nicht zu­letzt im Verhältnis Möglichkeit und Realität besteht, „und sei sie noch so ‘selbstverständlich’, an dieses Seiende konstruktiv-dogma­tisch herangebracht, keine aus einer solchen Idee vorgezeichneten ‘Ka­tegorien’ dürfen dem Dasein ontologisch unbesehen aufgezwungen wer­den.“ (S. 16) (Bleibt zu hoffen, dass auch ontologisch besehene Ideen dem Dasein nicht aufgezwungen werden dürfen). Das ist die Husserlsche Forderung nach dem Abbau aller verdeckenden Theorien und das Affirma­tive, das er Phänomenologie nennt, ist dadurch definiert, dass sie sich bemüht, so über das Dasein zu sprechen, dass dieses Seiende sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann. Es soll also keine Idee von Sein überhaupt und auch keine Idee von Existenz an dieses rein deskriptiv zu beschreibende Material herangetragen werden. Heidegger ist es nun allerdings erst verhältnismäßig spät eingefallen, nämlich erst in Paragraf 63, wie es um den methodischen Charakter der Daseinsana­lytik bestellt ist: „Woher nimmt sie (die Daseinsanalytik, DDP) den Leitfaden, wenn nicht aus einer vorausgesetzten Idee von Existenz überhaupt?“ (S. 313) Heidegger betrachtet hier eine solche Idee als notwendig, weil sie als Leitfaden nicht aus dem zu analysierenden Ma­terial – dem sich ehrenden Dasein – stammen darf. Heidegger ge­rät hier ins Schleudern und scheint sich gar anheischig zu machen, ein Votum für die Möglichkeit eines transzendentalen Bewusstseins abzugeben. Doch dieser Spur lässt sich nicht sinnvoll folgen.

Dass eine Idee von Existenz überhaupt nur durch Abstraktion vom Faktum des Existierens zustande kommt, habe ich bereits versucht aufzuweisen. Folgt man nun Heidegger, dann muss zunächst festgestellt werden, dass die metho­dische Funktion von Eigentlichkeit darin besteht, dass Eigentlichkeit den Leitfaden der Daseinsanalytik darstellt. Heidegger nennt diese Idee von Existenz dann an anderer Stelle auch sein faktisches Existenz­ideal, das ein Ideal von eigentlichem Dasein ist. Erst damit beant­wortet sich die Frage nach der methodischen Funktion von Eigentlich­keit und Uneigentlichkeit vollständig. Die der Uneigentlichkeit ist, dass sie den Ausgangspunkt der existenzialen Analytik des Daseins ab­gibt, während die Funktion der Eigentlichkeit darin besteht, den Leit­faden bereitzustellen, den die phänomenologische Erhellung des Daseins von Anfang an braucht, und den sie dem uneigentlichen, verfallenen Da­sein nicht entnehmen kann.

Man muss sich aber nun unbedingt den weitreichenden analytischen Implikationen stellen, die in dieser Ausweisung von Eigentlichkeit liegen. Dadurch dass Heidegger nun Eigentlichkeit zu einer vorauszusetzenden Idee von Existenz überhaupt stilisiert hat, ergibt sich, dass Eigentlichkeit als Seinsart nicht mehr verstanden wer­den kann. Dadurch stürzt aber die Konstruktion in sich zusammen, denn wenn Eigentlichkeit nicht mehr als Seinsart verstanden werden kann, verliert Existenz als jeweils zukünftige Existenz eine wesentliche Be­stimmung; der Sinn des Begriffes verpufft. Warum ist diese Alternative so harsch? Wird Eigentlichkeit als faktisch realisierbare Seinsart verstanden, so liegt sie mithin im zu analysierenden Material und wäre damit als Leitfaden disqualifiziert.

An dieser Stelle zeigt sich, wa­rum Heidegger nicht umhinkam, Uneigentlichkeit als nicht hintergehbare Struktur des Daseins festzuschreiben. Aber auch indem er das tat, versetzte er seiner Konzeption schon den Todesstoß, denn auch so fällt Eigentlichkeit oder Selbst sein als ein Strukturmoment der je­weils zukünftigen Existenz unter den Tisch.

Konstruktiv ausdeuten kann man dieses Problem nur, wenn man den Spieß rumdreht, und an der Seite, an der sein Konzept zusammenzubrechen droht, ansetzt: Indem Heidegger seinen methodischen Negativismus dahingehend überzog, dass er das Da­sein als sich selbst Missverstehendes festschrieb, ist die Möglichkeit eines sich verstehenden Daseins per se ausgeschlossen. Nun haben wir aber das Faktum, mit Heidegger ein Dasein vor uns zu haben, das mit dem Anspruch auftritt, Sein und Existenz zu verstehen. Kurz: es hatte Hei­degger und seinen Optionen nicht geschadet, sich zu Bewusstsein zu füh­ren, dass er sehr wohl eine ontologisch besehene Idee an das Dasein heranträgt und dass diese Möglichkeit besteht. Durch seinen Kurzausflug in den Transzendentalismus verkennt er, dass diese Idee durch eine Abs­traktion vom Faktum des Existierens Gestalt gewinnt, also sehr wohl im Material der Daseinsanalytik liegt, und dass sich so das Seiende sehr wohl von sich selbst her zeigen kann.

Selbst sein eröffnet sich hier als etwas, das in sich positiv bestimmt ist allein über die Bewusstseins- oder Erkenntnisseite des Daseins. Ich konnte nun zurückgreifen auf die Bestimmungen, die ich zur „gehen um“ Formel unter den Antwort­möglichkeiten 6 und 7 geliefert habe. Aber das hieße schon einen Schritt zu weit gehen.

Die Spannungen, die schließlich das ganze Selbstseinskonzept Heideggers erschüttern, kommen durch die in Heideggers Version unvereinbare Doppelfunktion der Eigentlichkeit zustande. Sie soll einerseits eine Seinsart im Sinne einer faktisch realisierbaren Seinsmöglichkeit des Daseins sein, und insofern ist durch Eigentlich­keit die Struktur der zukünftigen Existenz mitdefiniert, und insofern liegt Eigentlichkeit auch im existentiellen Material, und anderer­seits soll Eigentlichkeit, als etwas, das nicht im existentiellen Ma­terial liegt, den Erkenntnisleitfaden der Daseinsanalytik abgeben. In diesem Erkenntnisanspruch geht Heidegger aber faktisch davon aus, dass das sich missverstehende Dasein sein sich Missverstehen verstehen kann. D.h. Heidegger muss die zwingende Annahme machen, dass eigentliches Da­sein möglich ist. Der theoretische Ontologe ist durch seinen Anspruch auf Verstehen des sich missverstehenden Daseins quasi Pionier in Sachen Eigentlichkeit. Eigentlichkeit, Selbst sein wird damit zum ersten Mal inhaltlich bestimmbar, nämlich als eine faktisch realisierbare Seins­art, die durch Verstehen gekennzeichnet ist, sich also primär über den Bewusstseinsaspekt des Daseins definiert. Und da Erkenntnis immer Er­kenntnis einer vermeintlichen Negativität ist, und die Kunst der Er­kenntnis z.B. mit Adorno definiert ist, als standhaltender Blick auf die Negativität, muss den heroischen Zügen der Eigentlichkeit, wie Heidegger sie bestimmt, erst gar nicht weiter nachgegangen werden: sie liegen klar offen.

Macht man nun noch Heideggers Setzung stark, dass Dasein existen­tiell durch die Seinsart Uneigentlichkeit definiert ist, so lässt sich eigentliches Dasein fortbestimmen als dasjenige Dasein, dass sich im Moment der Reflexion der unhintergehbaren strukturellen Vorgabe der Un­eigentlichkeit in die Eigentlichkeit erhebt. Und das heißt, allein das Dasein, dass die gesamte einheitliche Seinsverfassung des Daseins re­flektieren kann, kann sich als eigentliches Dasein wähnen. Glücklich also, wer sich zum Kreis der theoretischen Ontologen rechnen darf.

Ei­gentlichkeit ist also das ontologische Bewusstsein über die unhinter­gehbare Seinsart des Daseins im faktischen Existenzvollzug, nämlich Uneigentlichkeit. Auf die Sel­bst­seinsformel bezogen heißt das, Sel­bstsein ist nur möglich im Moment der Erkenntnis der Unmöglichkeit des Selbstseins. An dieser Stelle ergibt sich eine weitere Möglichkeit zu einem aufschlussreichen Kurz- bzw. Ruckschluss, der das Zweifelhafte ei­ner Selbstseinstheorie aufdeckt. Selbst sein ist in Heideggers Version per Definition nicht möglich, da Weltlichkeit als ein Moment der Seins­verfassung des Daseins, das dann negativ besetzt wird über die Begrif­fe Uneigentlichkeit, Verfallenheit, ein nicht hintergehbarer Modus des Existierens ist. Selbst sein als Bedürfnis entsteht allererst aus der Negativbesetzung des Strukturmoments Weltlichkeit, die in der Form wie Heidegger sie ausführt, nicht ausgeführt werden muss.

Übersetzt man die Problemkonstellation in eine andere Begrifflichkeit, so heißt das, dass im negativen Zug des Begriffes Verfallenheit eine Abwertung des Fak­tums vollzogen wird, dass wir als Subjekte nur durch das Hinausgehen in die Objektwelt existieren, um mit Bloch zu sprechen, dass wir also als Subjekte nur als Subjekt-Objekt sind, nur als Subjekt-Subjekt sind.

Der methodische Negativismus hat also seinen positiven Zug darin, dass in der Erkenntnis der Unmöglichkeit eines Selbst seins als Monade die positive Erkenntnis steckt, dass Dasein nur in Austausch- – oder um un­verfänglich zu formulieren – in Wechselbeziehungen existiert. Von hier aus ist es aber ein weiter Weg zu der heideggerischen brachialen These über das sich missverstehende Dasein.

Polemisch lässt sich dagegen sa­gen, das Dasein versteht sich nicht nur miss, indem es sich nur von der Welt her versteht, also die strukturelle Vorgabe des Subjekt-Subjekt­-Objektseins verkennt, sondern es versteht sich auch miss, wenn es sich als Selbst, als monadisches Subjekt zu begreifen versucht. Und so wie Unendlichkeitsvorstellungen Abstraktionen von der Endlichkeit des Da­seins sind, als Rationalisierung der Sterblichkeit, so ist eine Selbst­seinsvorstellung, die definiert ist durch ein nicht Verfallen an Welt, eine Abstraktion von der Grundbestimmung des Daseins, nur als Subjekt­-Subjekt-Objekt zu existieren. Im „Entwurf“ „Selbst sein“ kommt ein Freiheitsbedürfnis zum Ausdruck, das schon fähig ist, dem Faktum der Weltlichkeit einen negativen Zug abzugewinnen, nämlich Unfreiheit, Ge­worfenheit, Verfallenheit, Uneigentlichkeit.

Negative Züge der Welt­lichkeit aufzuzeigen ist für sich ja kein böser Vorsatz, nur Heidegger kann ihn nicht durchführen, weil er dann gezwungen wäre, auf objektive und subjektive Bedingungen zu reflektieren, die zur Ursache einer nega­tiven Besetzung des Faktums Weltlichkeit werden können. Kurz: er mei­det das Weihwasser historischer und gesellschaftlicher Bestimmungen von Weltlichkeit. Versteht man also Selbst sein aus Heideggers System heraus allein von der existenzialen Seite aus, dann stürzt dieses zugleich ein. Steigt man aber in seinem System von der existentiellen Basis zur existen­zialen Abstraktion auf, dann lässt sich Selbst sein und auch Heidegger einholen in eine im weitesten Sinne dialektische Tradition.

Der Über­gang ergibt sich aus der Auseinanderlegung des methodischen Negativis­mus Heideggers. Selbst sein und Eigentlichkeit kann man dann verpflich­ten als Existenzvollzug, der über den Bewusstseinsaspekt des Daseins definiert ist, und Dasein ist es selbst als Erkenntnis des Selbst um das es dem Dasein geht, als einheitlicher Seinsverfassung des Daseins. In dieser Überformung stecken allerdings wieder zwei Seiten, eine nega­tive und eine „positive“.

Die erste besteht darin, dass sich die basale Negativität, als Unmöglichkeit des Selbst seins auf allen Ebenen des faktischen Existenzvollzuges, nicht überwinden lässt. Selbst sein reali­siert sich allein auf einer Bewusstseinsebene. Und selbst diese „Selbst­verwirklichung“ ist in sich nicht zwingend positiv bestimmt. Denn dem Selbst sein als In-Sich-Sein mag sich am Selbstpol die Leere und am Weltpol die Fremdheit enthüllen, „und wie sich ein Leeres in einem Fremden ‘selbst’ erkennen sollte, kann sich unsere Vernunft beim bes­ten Willen nicht vorstellen.“2 Die positive Seite liegt in dem his­torisch überholten heroischen Zug, der in der Ausuferung vom „erkenne dich selbst“ zum „erkenne die Welt“ zum „erkenne das Sein“ liegt, und will man Selbst sein mit Heidegger noch positiv verstehen, dann liegt der Appell genau auf dem „Erkennen“, und man kommt nicht umhin ein „Sapere aude!“ zu assoziieren3.

  1. Die Reformulierung der einheitlichen Seinsverfassung des Daseins

Mit der Auseinanderlegung der Deutungsmöglichkeiten von Selbst sein kann nun die Reformulierung der einheitlichen Seinsverfassung des Da­seins in Angriff genommen werden. Als Interpretationshilfe für diese Reformulierung bieten sich die geschichtstheoretischen Begriffe Struk­tur und Prozess an. Vorweggeschickt werden muss, dass die Bedeutung des Begriffes der einheitlichen Seinsverfassung von der abweicht, in der Heidegger ihn gebraucht. Dies ist eine Konsequenz, die sich für mich aus den bisherigen Ergebnissen ergibt. Ich werde die Bedeutung, in der ich diesen Begriff verwenden mochte, erst thesenhaft vorstellen und sie dann in der Reformulierung selbst durch die Implikationen ausweisen. Nachdem ich diese Thesen formuliert habe, werde ich dann zunächst verschiedene Bedeutungen der Begriffe Prozess und Struktur unterschei­den, die dann im Fortgang der Darstellung auch weiter konkretisiert werden sollen. Doch zunächst zu den Thesen:

  1. Die einheitliche Seinsverfassung des Daseins existiert nicht fak­tisch.
  2. Die einheitliche Seinsverfassung ist ein Erkenntnisgegenstand.
  3. Die einheitliche Seinsverfassung umfasst das Existieren und die Existenz, die existentielle Seite und die existenziale Seite.

Diese Thesen stellen für sich keine Definitionen dar, aus ihnen werden aber in der Konkretisierung Definitionen entwickelt. Zu den Begriffen Struktur und Prozess muss gesagt werden, dass sie auf den existentiellen, existenzialen Seiten verschiedene Bedeutungen einnehmen. Auf der existentiellen Seite wird das Dasein selbst als eine Struktur verstan­den. Die Daseinsstruktur kann im Existieren selbst strukturiert wer­den. Der faktische Existenzvollzug wird als Strukturierung verstanden. Der faktische Existenzvollzug, die Strukturierung wird als Prozess ver­standen. Auf der existenzialen Seite ist unter Struktur die Struktur der jeweils zukünftigen Existenz zu verstehen. Diese Existenzstruktur ist durch zwei unterschiedene Strukturmomente gekennzeichnet, die zu­sammen die Strukturnotwendigkeit der Existenz ausmachen. Diese Struk­turmomente sind die beiden Seinsarten Eigentlichkeit und Uneigentlich­keit.

Auf der existentiellen Seite sind die beiden Seinsarten wiederum als Struktur zu verstehen. Eine realisierte Seinsart ist eine Daseins­struktur. Von der existentiellen Seite lässt sich die Seinsart als Da­seinsstruktur auf die existenziale Seite übertragen, sie heißt dann aber nur noch Struktur und nicht mehr Daseinsstruktur. Diese Obertra­gung ist dadurch gerechtfertigt, dass Existenz als Abstraktion vom Fak­tum des Existierens begriffen werden kann, welches bedeutet, sich für eine Seinsart bzw. deren Realisierung entschieden zu haben. Existenz be­zeichnet durch den Abzug des Zeitmodus Gegenwart und die Projektion auf den Zeitmodus Zukunft den zukünftigen Raum des Existierens, der durch die Strukturnotwendigkeit gekennzeichnet ist, dass das Dasein, im exis­tierenden Eindringen in ihn zu wählen hat zwischen den Seinsarten. Der Begriff Strukturnotwendigkeit bezeichnet auf der existentiellen Seite die Wesensnotwendigkeit des Daseins, sich zu strukturieren, im faktischen Existenzvollzug, im Prozess eine Seinsart zu verwirklichen.

Ohne diese Unterscheidungen kann der Zusammenhang zwischen Existieren und Existenz nicht sinnvoll dargestellt werden. Die Gründe, warum ich von Heideggers Verwendung des Begriffes einheit­liche Seinsverfassung abweiche, sind zweierlei: erstens wird in der Fortbestimmung der beiden Grundmomente, also einerseits Existenzialität, Entwurf, Verstehen, Verfallen, andererseits Faktizität, Geworfen­heit, Befindlichkeit, primär die Existenzstruktur anvisiert. Dagegen lässt sich einwenden, dass die Existenzstruktur nur durch den Rekurs auf das Existieren abzuleiten ist, weswegen Existieren auch unter den Be­griff der einheitlichen Seinsverfassung gebracht werden muss.

Ich hatte ja bereits die These aufgestellt, dass das Sein, um das es dem Dasein geht, als Existenzstruktur und Existieren, also als einheitliche Seins­verfassung zu begreifen ist. Zweitens sehe ich ab von den einzelnen Momenten der weiteren Fortbestimmung, weil sie für die Darstellung der Seinsverfassung nicht zwingend hinzugenommen werden müssen. Und wo dies nötig ist, lassen sie sich in die Seinsarten zergliedern. Das Grundgerüst der einheitlichen Seinsverfassung des Daseins besteht also zunächst aus den Seiten Existieren und Existenz. Existieren ist näher bestimmt als Prozess, in dem sich eine Daseinsstruktur strukturiert. In diesem Prozess der Strukturierung, der Strukturnotwendigkeit, steht die Daseinsstruktur in der strukturellen Vorgabe Weltlichkeit. Weltlich­keit ist mit Heidegger näher bestimmt als Uneigentlichkeit. Die Struk­tur Uneigentlichkeit realisiert das Dasein in jedem Fall. Durch die weitere Bestimmung von Uneigentlichkeit, nämlich durch den Begriff Ver­fallen, müssen zwei Momente der Uneigentlichkeit unterschieden werden.

Das erste Moment, Weltlichkeit, bestimmt die Daseinsstruktur wesent­lich, kann also auch nicht durch die Realisierung einer anderen Seins­art überwunden werden. Das zweite Moment der Uneigentlichkeit besteht in der Geneigtheit des Daseins, an die Welt zu verfallen, d.h. sich al­lein von der Welt her zu verstehen. Eine solche Daseinsstruktur ist nicht in der Lage, seine einheitliche Seinsverfassung zu erkennen. Es handelt sich hier um ein sich missverstehendes Dasein. Die uneigent­liche Daseinsstruktur, die der Geneigtheit, an die Welt zu verfallen, nicht nachgibt, kann sich im Prozess der Strukturierung seiner Daseins­struktur zu einer eigentlichen Daseinsstruktur verwandeln. Eine eigent­liche Daseinsstruktur ist gekennzeichnet durch die Fähigkeit seine einheitliche Seinsverfassung zu erkennen. Sie definiert sich also al­lein über den Bewusstseinsaspekt des Daseins.

Die eigentliche Daseins­struktur steht jedoch genau wie die beiden zu unterscheidenden uneigent­lichen Daseinsstrukturen unter der strukturellen Vorgabe Weltlichkeit. Alle Daseinsstrukturen stehen unter der Strukturnotwendigkeit, sich zu strukturieren. Uneigentliche Daseinsstrukturen können sich dieser Strukturnotwendigkeit durch Selbsttötung entziehen. Eine Daseinsstruk­tur kann sich im Prozess der Strukturierung umstrukturieren, d.h. seine Daseinsstruktur verändern. Existenz ist näher bestimmt als der zukünftige Raum des Existierens, in den eine Daseinsstruktur im Prozess der Strukturierung eindringt. Die Existenzstruktur ist durch die Strukturnotwendigkeit gekennzeichnet, die aus den Strukturmomenten Uneigent­lichkeit und Eigentlichkeit besteht. Alle Daseinsstrukturen, außer der­jenigen, die der Geneigtheit, an die Welt zu verfallen, nachgibt, strukturieren sich in Hinblick auf ihre Existenzstruktur. „Es soll ge­zeigt werden, dass das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist.“ Zeit, der Zeitmo­dus Zukunft wird hier als Raum der Existenz aufgewiesen. Die einheit­liche Seinsverfassung des Daseins besteht genau in diesem Zusammen­hang von Existieren und Existenz. Als ein solcher Zusammenhang ist die einheitliche Seinsverfassung Erkenntnisgegenstand der eigentlichen Da­seinsstruktur. Die einheitliche Seinsverfassung besteht faktisch nur durch ihr Teilmoment der sich strukturierenden Daseinsstrukturen. Ihr anderes Moment, die Existenzstruktur, besteht nicht faktisch, sondern lediglich als zukünftiger Raum, in den die Daseinsstrukturen im Prozess ihrer Strukturierung vorstoßen.

In dieses Grundgerüst muss nun noch eine existentielle Perspektive ein­getragen werden, d.h. es müssen die Implikationen betrachtet werden, die sich aus der Prozesshaftigkeit des Existierens ergeben. Eigentlich­keit und Uneigentlichkeit können nur auf verschiedene Weise als Da­seinsstrukturen begriffen werden, die sich realisieren lassen. Unei­gentlichkeit ist zu der Bedeutungsseite Weltlichkeit hin keine wahl­bare Seinsart, sondern Wesensnotwendigkeit jeder Daseinsstruktur. Zur Bedeutungsseite der Geneigtheit hin stellt sich das Problem, ob man bei dieser Form von Uneigentlichkeit von einer wahlbaren Seinsart re­den kann, denn diese Daseinsstruktur ist ja definiert durch das sich missverstehen, also Unfähigkeit die einheitliche Seinsverfassung zu er­kennen.

Eigentlichkeit ist nun gegenüber beiden Formen der Uneigent­lichkeit allein durch den Bewusstseinsaspekt des Daseins definiert. So lässt sich in Bezug auf Eigentlichkeit einerseits sagten, sie sei eine existentielle Modifikation, aber andererseits kann sie auch als ein defizienter Modus verstanden werden, wenn sie ohne Uneigentlichkeit im Sinne von Weltlichkeit gedacht wird. Will ein „eigentliches“ Dasein sich ohne Weltlichkeit verstehen, versteht es sich miss. Daraus ergibt sich, dass Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit im Verhältnis zweier gegenläufiger Asymmetrien stehen.

Uneigentlichkeit ist gegenüber der Eigentlichkeit die wesentlich basalere Seinsart, und zwar zur Seite der Weltlichkeit hin; im strengen Sinne unterliegt sie gar keiner Wahlbar­keit und ist in diesem Sinne auch keine Seinsart. In Bezug auf das Verhältnis von Uneigentlichkeit zur Seite der Geneigtheit und Eigent­lichkeit lässt sich wieder von Seinsarten sprechen, die wählbar sind und auch über den gleichen Daseinsaspekt bestimmt sind, nämlich über Bewusstsein. (Das Uneigentlichkeit in der Geneigtheitsvariante nicht wählbar ist, hatte ich schon angesprochen. Dieses Problem klammere ich hier aus. Im Folgenden werde ich Uneigentlichkeit-Weltlichkeit als Uneigentlichkeit-W bezeichnen, und die andere Form als Uneigentlich­keit-G). Dass Heidegger Alltäglichkeit später mit Uneigentlichkeit gleichsetzt, wäre darauf zu prüfen, ob er sie mit der W oder G Vari­ante gleichsetzt. Sinnvoll wäre eine Gleichsetzung mit der Uneigentlichkeit-W. Also in Bezug auf Uneigentlichkeit-G und Eigentlichkeit lässt sich sinnvoll von Seinsarten sprechen.

Die Erste ist durch sich missverstehen, die Zweite durch sich verstehen definiert. Die Uneigentlich­keit-W ist dann gegenüber beiden Seinsarten die fundamentale, nicht hintergehbare Seinsart. Die zweite Asymmetrie besteht dann darin, dass Eigentlichkeit gegenüber der Uneigentlichkeit-G die fundamentalere Seinsart ist, da sie den Leitfaden für die Daseinsanalytik als Funda­mentalontologie abgibt.

Das eigentliche Dasein ist quasi das Licht, indem die einheitliche Seinsverfassung des Daseins erkennbar wird. Und so kann die Daseinsanalytik nur gelingen, wenn sich der Theoretiker in der eigentlichen Seinsart vollzieht und auf diesen existentiellen Voll­zug sich konzentriert.

Eigentlichkeit muss gar nicht weiter inhaltlich bestimmt werden, um den normativen Zug herauszuarbeiten, der in diesem Ansatz steckt. Denn interpretiert man mit Heidegger gegen Heidegger, d.h. geht man davon aus, dass Eigentlichkeit eine realisierbare Seinsart ist, so wird der Leitfaden der Daseinsanalytik schlicht durch Auswahl aus den verschiedenen Seinsarten gewonnen. Hier stellt sich der normative Zug auf unterster Ebene heraus. Nach oben wäre eine von verschiedenen möglichen Spezifizierungen eine Spezifizierung als Erkenntnispro­gramm. Unter welcher gesellschaftspolitisch tragischen Flexibilität der Begriff der Eigentlichkeit leidet, soll erst am Ende verfolgt werden. Normativ ist Heideggers Konzeption also insofern, als dass Selbst sein über Eigentlichkeit definiert ist, und diese nicht nur Leitfaden der Daseinsanalytik ist, sondern auch das, was das Dasein als seiniges „zu sein“ hat.

In dieser Konstellation schließen sich dann aber die Fragen an, die Heidegger nicht in den Blick nimmt, nämlich die klas­sischen Fragen der Sozialphilosophie und der politischen Philosophie, die z.B. von der Frankfurter Schule angegangen worden sind, nämlich wie denn ein Übergang zu denken ist, wie es also um die Möglichkeiten einer Antizipation des uneigentlichen Daseins (G) bestellt ist.

  1. Das Verhältnis des Daseins zum Sein überhaupt

Ich bin mir darüber bewusst, dass der Begriff der einheitlichen Seins­verfassung des Daseins, wie er jetzt formuliert worden ist, natürlich durch einige Reduktionen zustande gekommen ist. Doch den Versuch einer Reformulierung habe ich von vorneherein nicht in Hinblick auf ganz „Sein und Zeit“ unternommen, sondern allein in Hinblick auf die beiden Grundbestimmungen des Daseins „gehen um“ und „zu sein“. D.h. die Stoßrichtung war dadurch definiert, das Sein, um das es dem Dasein in seinem Sein geht, und das es als sein­iges zu sein hat, herauszuarbeiten. Und eine mögliche Ausdeutung die­ses Seins, die ich dann stark gemacht habe, ist, das Sein als einheit­liche Seinsverfassung zu begreifen, die über die Seiten Existenz und Existieren definiert ist.

In der internen Perspektive, in der ich bis­her Heideggers Theorie betrachtet habe, steht nun noch die Prüfung des Verhältnisses vom Sein des Daseins zum Sein überhaupt aus. Der These Heideggers, dass in „der Idee einer solchen Seinsverfassung … schon die Idee von Sein überhaupt“ (S. 41f) liegt, kann aber nicht in der gleichen Ausführlichkeit nachgegangen werden, mit der ich die beiden Grundbestimmungen behandelt habe.

Heideggers These über das Verhältnis vom Sein des Daseins zum Sein überhaupt soll auf drei Ebenen angegangen werden, erstens über Heideg­gers Verhältnis zur traditionellen Ontologie, zweitens über das Pro­blem der Zeitlichkeit und damit hangt zusammen, drittens, das Problem der unterschiedlichen Bedeutungen der Begriffe Existenz und Existieren, die für das Dasein und nicht daseinsmäßiges Seiendes gelten. Heideg­gers Ansatz zu diesem Problem nachzugehen, wurde den Rahmen dieser Ar­beit übersteigen. Ich werde also über die Vorstellung der Problemlage nicht hinauskommen. Eine weitere Reduktion, mit der zu arbeiten ich mich gezwungen sehe, wird darin bestehen, dass ich meine Sicht des Zu­sammenhanges als Folie zugrunde lege.

Zunächst muss der Begriff Sein überhaupt näher bestimmt werden. Darun­ter ist grundlegend das Faktum des Existierens alles Existierenden zu verstehen. Durch das Gegenstuck des Existierens, das nicht Existieren, kommt dann die wesentlichste Bestimmung des Existierens ins Spiel, die Zeitlichkeit. Sein überhaupt begriffen als Zeitlichkeit bildet den Rah­men alles Existierenden. Es existiert jeweils in Zeit und Raum. Und existieren in der Zeit heißt zugleich endlich existieren. Dieses Sein überhaupt begriffen als Zeitlichkeit schließt nun sowohl das Dasein wie auch nicht daseinsmäßiges Seiendes ein. Beide stehen in gewisser Weise unter der Bestimmung Weltlichkeit, begriffen als In-der-Welt­sein. Nicht daseinsmäßiges Seiendes wird von Heidegger durch die Be­griffe Vorhandenheit und Tatsachlichkeit näher bezeichnet. Diese Be­griffe zielen allein ab auf den materiellen Aspekt.

Demgegenüber be­tont er in Bezug auf das Dasein mit den Begriffen Faktizität und Existenzialität genau die Aspekte, die über den materiellen hinausreichen. Dasein hat gegenüber nicht daseinsmäßigen Seienden ein Zeitbewusstsein. Dasein ist daher in der Lage als innere Sinnbestimmtheit seiner Exis­tenz, die Zeitlichkeit zu erkennen. Nicht daseinsmäßiges Seiendes ist nicht in der Lage, Zeitlichkeit als Bestimmung des Existierens zu er­kennen. Daraus folgt, es erkennt auch nicht so etwas wie Existenz, also es hat kein Bewusstsein über so etwas wie eine zukünftige Existenz. Mit Blick auf den Paragrafen 6 lässt sich nun sagen, dass Heidegger die traditionelle Ontologie für eine theoretische Variante von Uneigent­lichkeit-G halt. Denn Uneigentlichkeit-G ist auch dadurch bestimmt, dass sie sich auf Gegenwart bezieht, d.h. dass Zeitlichkeit als Bestim­mung der Existenzstruktur nicht erkannt wird. Und da nun die tradi­tionelle Ontologie Sein von der Gegenwart her gedacht hat, ist sie eben eine uneigentliche Theorie.

Der Seite 17 von Sein und Zeit lässt sich nun entnehmen, dass Heidegger die Zeitlichkeit einerseits den Sinn des Seins des Da­seins nennt, andererseits spricht er an einer anderen Stelle von der Zeitlichkeit als der inneren Sinnbestimmtheit des Seins des Daseins. Das muss übersetzt werden in, die Zeitlichkeit ist die Bestimmung der Existenz und des Existierens des Daseins. Zeitlichkeit wurde ja nun als die allgemeinste Bestimmung alles Existierenden bezeichnet. Diese Zeit­lichkeit nennt Heidegger Temporalität; sie ist die ursprüngliche Zeit. Davon ist zu unterscheiden die Zeit als Woraufhin des Entwurfes. Das, worauf Dasein sich bezieht, nämlich Zeitlichkeit als Bestimmung des Seins des Daseins, ist ein Sonderfall der Temporalität. Denn Dasein be­zieht sich primär auf die Zeitlichkeit als Bestimmung der Existenz. Dementsprechend wurde Heidegger sagen, wenn ich nach dem Sinn von Sein frage, dann ist zu unterscheiden der Spezialfall der Temporalität, nämlich Zeitlichkeit als Bestimmung des Seins des Daseins, und die ur­sprüngliche Zeit, Temporalität, die ich in der Frage nach dem Sinn des Seins des Daseins verändere. Nun lautet Heideggers These aber auch, im Existieren (als der prozessualen Seite der Zeitlichkeit) erschließt sich dem Dasein mit seinem Sein (dessen eine Seite die Zeitlichkeit als existenziale Struktur ist), die innere Sinnbestimmtheit des Seins überhaupt als Temporalität. D.h. zunächst, der Zeitlichkeit als Be­stimmung des Seins des Daseins entspricht die Temporalität als Bestim­mung des Seins überhaupt. Ein Problem entsteht nun aber dadurch, dass Heidegger in Bezug auf das Sein überhaupt auch von einer Sinnbestimmt­heit spricht. Wie Heidegger in Bezug auf Dasein dazu kommt, Zeitlichkeit als Sinnbestimmtheit zu fassen, kann noch rekonstruiert werden. Ent­werfen hat etwas mit Sinn zu tun, im Sinne von Sinn des Lebens. Der Entwurf, der in gewisser Weise ein Sinnentwurf ist, wird auf die Zeit hin entworfen, so kommt schließlich die Bestimmung von Zeitlichkeit als Sinnbestimmtheit zustande. In Bezug auf das Sein überhaupt macht der Begriff Sinnbestimmtheit keinen Sinn, er lässt sich nicht ableiten, und es wäre widersinnig, nicht daseinsmäßigen Seiendem die Fähigkeit zuzusprechen, Sinnentwurfe zu konstruieren. Hier liegt ein Problem vor.

Ein anderes Problem besteht darin, was unter dem Verbum erschließen zu verstehen ist. Die Fragen lauten, was genau wird erschlossen, und in welchem Zusammenhang wird es erschlossen? Die erste Antwort konnte lauten, allein die Tatsache, dass alles Existierende unter der Bestim­mung Zeitlichkeit steht, erschließt sich dem Dasein. Und das hieße dann auch, dem Dasein erschließt sich, dass nicht daseinsmäßiges Seien­des durch Zeitlichkeit anders bestimmt wird, als Dasein selbst.

Doch dies ist nur eine mögliche Antwort und ich bin nicht sicher, ob Hei­degger ihr zustimmen konnte. Ich komme daher zunächst auf die zweite Frage, der Frage nach dem Zusammenhang, in dem sich dem Dasein et­was erschließt. Die Grundbestimmungen „gehen um“ und „zu sein“ sind ja letztlich zeitlich zu interpretieren. Existenzialität wird so auf den Begriff der Zukunft gebracht. Und die zeitliche Interpretation der Faktizität bringt diese auf den Begriff der Gewesenheit, also daseins­mäßige Vergangenheit.

Genau das ist es, was ich im Existieren als ei­nem ständigen „es geht mir um mein Sein“, „ich habe mein Sein zu sein“ realisiere, aktualisiere. Und indem ich das tue, geht mir gleichzeitig der Sinn von Sein überhaupt als Temporalität auf. Das ist die These Heideggers und das ist zugleich der Punkt von „Sein und Zeit“, an dem Heidegger später aus der Konzeption herausspringt, und zum Konzept der Seinsge­schichte wechselt, das nur noch der Erklärung der inneren Sinnbestimmt­heit des Seins des Daseins als Zeitlichkeit entspricht. Das ist zwar eine Seite dessen, was Heidegger 1927 wollte, doch an der anderen Sei­te, dem Zusammenhang zum Sein überhaupt, ist er gescheitert.

Das Inte­ressante dieses Ansatzes liegt darin, dass er nicht davon ausgeht, dass die Beziehung zwischen Sein des Daseins und Sein überhaupt so zu den­ken sei, dass Dasein quasi nur eine partielle Erfahrung von Sein überhaupt darstellt, sondern vielmehr soll es so sein, dass in der Erfah­rung des Seins des Daseins, d.h. in einer Zeitlichkeitserfahrung, der ursprüngliche Sinn von Sein überhaupt als Temporalität zugänglich wird. D.h. der Begriff Sein überhaupt wird in seinem Zeitlichkeitsaspekt betont, und in Bezug auf diesen Aspekt ist das Sein überhaupt das al­ler Allgemeinste und das „Umfassendste“. In Bezug auf den Raumaspekt lässt sich das nicht sinnvoll behaupten, weil es hier immer wieder den Horizont eines Horizontes gibt, d.h. es gibt keine denkbare letzte Be­grenzung, die man braucht, um den Begriff das Umfassendste sinnvoll zu benutzen. D.h. dann aber auch, man muss Abschied nehmen von der Vorstel­lung der Sinn des Seins überhaupt wäre ein Außenhorizont. Er ist viel­mehr eine innere Temporalität, die sich mir allein in der Binnenerfah­rung des Seins des Daseins erschließt. Wenn nun aber im Sein überhaupt eine innere Temporalität gedacht wird, dann muss diese aber genau wie beim Dasein durch ein Vorlaufen zum Tode definiert sein, d.h. die sich im Tod manifestierende Endlichkeit muss auch, in der Vorstellung vom Sein überhaupt zu finden sein.

Heidegger scheut sich, diese Konsequenz zu ziehen, dabei ließe sich eine Antwort geben, indem man sagt, das einzelne Seiende ist als Materie endlich. Wie könnte man das näher bezeichnen, woran Heidegger 1927 ge­scheitert ist. Heidegger ist meines Erachtens weniger daran gescheitert, einen Zusammen­hang zwischen Sein des Daseins und Sein überhaupt qua Zeitlichkeit oder Temporalität aufzuzeigen, er ist vielmehr daran gescheitert, dass er die Temporalität in Analogie zur Zeitlichkeit des Seins des Daseins als eine innere Sinnbestimmtheit zu erfassen versuchte. Und genau da­rin, meine ich, liegt das Problem. Er beging quasi den gleichen Feh­ler, welchen die traditionelle Ontologie beging, indem sie sich dem Da­sein mit Kategorien des nicht daseinsmäßig Seienden näherte. Nur das er andersherum vorgeht. Man muss sagen, falls man in Bezug auf das Sein überhaupt sinnvoll von einer inneren Sinnbestimmtheit sprechen will, dann muss darunter etwas anderes verstanden werden als das, was man in Bezug auf das Sein des Daseins darunter versteht.

Dieser Unterschied, der zwischen Sein des Daseins und Sein überhaupt besteht, wird deut­lich, wenn man die verschiedenen Bedeutungen von Existieren und Exis­tenz näher betrachtet, die für das Sein des Daseins bzw. für das Sein überhaupt gelten. Das Sein, um das es dem Dasein geht, wurde näher be­stimmt als Existieren und Existenz. Und genau hierin liegt der Unter­schied zu nicht daseinsmäßig Seienden. Es hat nicht die Struktur eines bewussten „gehen um“. Mit Aristoteles lässt sich sagen, dass bei nicht menschlichen Lebewesen das Sein allein im Existieren, Leben besteht. Da sie vermutlich keine Bewusstseinszustände haben, sind sie nicht auf eine zukünftige Existenz ausgerichtet. Ihr „gehen um“ ist beschränkt auf Erhal­tung des Lebens, des Existierens. Erst auf der Daseinsstufe eines wil­lentlichen Lebensprozess heißt Sein nicht mehr Existieren als Erhaltung des Lebens, sondern es stellt sich dem überlegenden Menschen die Frage, wie er sein will, d.h. eine Ausrichtung auf Existenz als zukünftiger Existenz ist vorhanden. Diese Differenz wird in der These über die Ent­sprechung der inneren Sinnbestimmtheit von Sein des Daseins und Sein überhaupt eingeebnet.

Darin dass Heidegger aber von einer ursprüng­lichen Zeitlichkeit spricht, zeigt sich, dass die Festschreibung einer solchen Differenz für ihn unbefriedigend ist. Wenn aber die Temporalität des Seins überhaupt der ursprüngliche Sinn von Sein ist, dann muss der Sinn des Seins des Daseins (Zeitlichkeit) in ihm aufgehoben sein. Was genau ist also, unter ursprünglich und aufgehoben zu verstehen?

Die ursprüngliche Zeitlichkeit ist insofern ursprünglicher als dass die Zeitlichkeit des Seins des Daseins erst mit dessen Entwicklung hinzu­kam. Und aufgehoben ist das Dasein in dieser ursprünglichen Zeit da­durch, dass sie nach wie vor besteht als dasjenige, was uns umgibt. Das nicht daseinsmäßig Seiende, das von der ursprünglichen Zeitlichkeit be­stimmt ist, umgibt uns in einem räumlichen Sinne. Es bestimmt unser In­-der-Welt-sein, unsere Weltlichkeit näher.

Hier schließt sich nun die Möglichkeit an, das Verhältnis von Sein des Daseins und Sein überhaupt erneut zu bestimmen. Dem Dasein erschließt sich nicht das Sein überhaupt, sondern durch die Struktur des „gehen um“, geht es dem Dasein nicht nur um sein Sein, sondern um das Sein überhaupt. Diese These habe ich schon unter der Antwortmöglichkeit 4 angeführt, als es darum ging, das Sein, um das es dem Dasein geht, näher zu bestimmen. Da Dasein sich immer im Modus der Uneigentlichkeit-W vollzieht, das heißt, durch Weltlichkeit bestimmt ist, kann es ihm nicht um sein Sein gehen, ohne dass es ihm zugleich um das Sein überhaupt geht.

Ich habe nun allerdings eine bestimmte Deutung des Seins des Daseins stark ge­macht. In dieser Fassung erwies sich das Dasein als ein explizit onto­logisch Fragendes. Nun liegt es nahe, die starke Deutung fortzuführen, und sie auf das Sein überhaupt zu übertragen, d.h. zu behaupten, dem Da­sein geht es um das Sein überhaupt aus einer expliziten ontologischen Perspektive. Aber genau diese Behauptung bildet ja auch den Schwach­punkt der Deutung, die ich stark gemacht habe. Indem ich dies tat, bin ich ja einer Tendenz in Heideggers Konzeption nachgegangen, in der sich ein stark normativer Zug kristallisierte.

Bleibt man nun in die­ser Deutung, dann geht es dem Dasein per se um das Sein überhaupt, un­abhängig davon, ob es die faktischen Existenzvollzuge des Daseins be­trifft oder nicht. Verlässt man diese Deutung, dann muss gesagt werden, dem Dasein geht es nur um das Sein überhaupt, insofern es die Existenz­vollzüge betrifft, und d.h. es geht ihm nicht um das Sein überhaupt. D.h. dann aber auch, dem Dasein geht es nicht um sein Sein als einheit­liche Seinsverfassung. Es ist vielmehr ein Dasein, das sich im Modus der Uneigentlichkeit-G vollzieht, d.h. das sich von der Welt her missver­steht und keinen Blick auf die zukünftige Existenz wirft.

Meine These lautet nun, da Dasein durch In-der-Welt-sein charakterisiert ist, geht es ihm, falls es ihm um sein Sein geht, auch um das Sein überhaupt. Das ist gleichsam die allgemeinste These, die dann bezüglich der norma­tiven Züge der „gehen um“ und „zu sein“ Bestimmungen noch auf verschiedene Weise ausgedeutet werden kann. Doch diese verschiedenen möglichen Konkretisierungen lassen sich mit Heidegger nicht definitiv be­legen.

Es verbleibt nur die Möglichkeit, sie nochmals aufzuzählen und im Weiteren die Geschichte zu befragen, in der sich zeigt, wie man aus Heideggers Haltungen, eine Antwort auf dieses Problem gewinnen kann. Hier meldet sich die Notwendigkeit einer externen Perspektive an. Doch zunächst, um was kann es dem Dasein in einem ethischen Sinne gehen, wenn es ihm um sein Sein geht?

Dem Dasein kann es allein um sein Sein gehen, d.h. um seine eigenen Existenzvollzuge und um seine jeweils zukünftige Existenz (Egozentrismus). Es kann ihm um die Existenzvollzuge und die zukünftige Existenz aller gehen. D.h. dann analytisch, es geht ihm auch um das Sein überhaupt zumindest zur Seite des Existierens. Denn die letzte Implikation eines ethischen Wollens ist, das es auch um den Erhalt der Bedingungen der Möglichkeiten eines ethischen Wol­lens geht, nämlich um den Erhalt des bisherigen Bezugssystems, des Pla­neten Erde4. Soviel zu den Möglichkeiten von Sein, um das es einem eigentlichen Dasein gehen kann. Dass Heidegger sich während des Nationalsozialismus anheischig machte, es dem Dasein um das Sein allen Daseins gehen zu lassen, ist die eine Sache, eine andere ist, in welcher Weise er das tat.

  1. Warum Selbstsein?

Auch Heidegger ist verwickelt in das Problem des Verhältnisses von em­pirischer und normativer Forschung. Die Schwierigkeit dieses Verhält­nisses besteht darin, dass man sich einerseits aus Gründen einer ver­meintlichen methodischen Stringenz dazu aufgerufen sieht, sich für ei­ne Seite zu entscheiden, dass aber andererseits die Trennung dieser Perspektiven bestimmten Gegenstanden nicht angemessen ist. Dies gilt insbe­sondere für das Unternehmen der Daseinsanalytik. Denn Dasein besteht wesentlich aus faktischen Vollzügen, also Handlungsvollzügen, die stets auch normengeleitet sind, so dass die Daseinsvollzuge nicht sinnvoll er­kannt werden können, ohne dass die Daseinsanalytik die Normativität der zugrundeliegenden Normen in den Blick nimmt. Ihr Gegenstand wurde sich sonst in etwas auflösen, was nicht mehr als Dasein begriffen werden kann.

Mit diesem Argument wird allerdings für eine Rückkehr zur aris­totelischen Konstruktion der Einheit der Weltsicht der Wissenschaften und des Handelns plädiert. Dabei wird die Differenzierung von wissen­schaftlicher und praktischer Betrachtungsweise übersehen. Nur solange beide sich in ihrem Streben wiedererkennen konnten, solange sie also auf eine gemeinsame, unteilige Wahrheit aus wären, solange also wahre Zwecke vorstellbar wären, war eine vereinheitlichende Betrachtungswei­se angemessen.

Wissenschaft hat in dieser Konstruktion noch die norma­tive, d.h. die erkennende und ermahnende Aufgabe, dem Handelnden sein richtiges Handeln vorzustellen und ihm näher zu bringen. Sie zer­fiel unter dem Zuwachs an Komplexität der Lebenswelt, den die empi­rischen Wissenschaften herbeiführten. So wandeln sich die traditionel­len, der Ethik entwachsenen präskriptiven Wissenschaften in Entschei­dungstheorien, mit denen Komplexität reduzierbar ist. Die Notwendig­keit der für die Praxis notwendigen Formen der Reduktion ergibt sich nicht nur aus der Zunahme der Komplexität der Lebenswelt, sondern ge­nauso aus dem Umstand, dass die Wissenschaften ihr Potential für Komplexität in einer Weise erweitert haben, dass es in Entscheidungen kaum mehr berücksichtigt werden kann. Die Reduktion von Komplexität kann aber weder als Bewirken einer Wirkung, noch als gesollte Aufgabe ver­standen werden. Vielmehr ist es ein Prozess der Bestimmung des vom Be­wusstsein Unbestimmten, der Gestaltung in der fortlaufenden Zeit im Blick des Bewusstseins. Er ist dabei nicht mehr zu verstehen als For­mung von Materie oder Strukturierung einer Daseinsstruktur. Denn die Vollendung der Form galt als Endzweck aller Bewegung.

Zwecke sind heu­te aber nur noch eine unter vielen möglichen Strategien der Reduktion von Komplexität5. Das in Kantischer Tradition verstandene Selbstsein als Selbstzweck hat sich in der Entbindung durch die Heideggerische Variante in methodischer Hinsicht als untauglich erwiesen, den Reduk­tionserfordernissen nachzukommen, da in der Verkürzung von Selbstsein auf Weltlossein die zu reduzierende Komplexität aus dem Blick verloren wird. Eigentlichkeit, Selbst sein muss leider auch als ein Abstraktum gedacht werden, dass durch Weltlosigkeit definiert ist. Ein Selbst, in anderer Terminologie ein Subjekt ist aber unmöglich weltlos.

In der Konzeption einer Selbstseinstheorie wird so auch ein Absolutheits­streben erkennbar, in dem ein welthaltiges Selbst sich auf eine Idee hin transzendieren mochte, die als Freiheit oder Autonomie gefasst werden kann. Eine Selbstseinstheorie erweist sich so in letzter Instanz als ein bewusstseinsphilosophisches Konzept oder eine Theorie des Wil­lens. Ein Freiheitswille ist hier um Konstruktionen bemüht, in denen die Bedingungen der Möglichkeit des Wollens und der Realisierung der Freiheit des Wollens anvisiert werden. Der Theorie liegt hier also seitens ihres Produzenten ein Bemühen um das Sichwollen können zugrunde und dieses Bemühen wendet sich gegen eine Freiheit, die selbst nur eine Bedingung oder ein Mittel darstellt, und der die gegenständliche Welt das Ziel bestimmt. Die Freiheit – das Wollen der einen oder der ande­ren Sache – führt zum Wollen der Freiheit des Wollens. Das „Ursein“ als Wollen, „der freie Wille, der den freien Willen will“, „der Wille zum Willen“, der „Wille zur Macht“ – alles das sind unterschiedliche Fassungen der gleichen Denkfigur, die zugleich aufzeigen, wie sich ein Begriff aus einer menschlichen Sphäre extrapolieren und in einen philosophischen Zentralbegriff verwandeln lässt, in Analogie zu der Rolle, die in der Metaphysik dem Seinsbegriff zugestanden worden ist.

Geht man mit Adorno davon aus, dass eine Freiheitsanalyse nur noch Chancen hat, wenn man von einer Freiheit ausgeht, die unter Bestim­mungen steht, wendet man sich zugleich gegen einen Freiheitsbegriff, der dadurch definiert ist, dass Freiheit darin besteht, dass ein Wille nicht immer etwas konkret Inhaltliches wollen muss. Eine Freiheit also, die dadurch definiert ist, nicht wählen zu müssen, also auch nicht im­mer durch Entscheidungen „sein“ zu müssen, erhält durch den regressiven Zug einer solchen Freiheitsanalyse keine Chance. In ihr ist die eigent­lich harmlose existentielle und existenziale Vorgabe des In-der-Welt­seins des Subjektes in ihrer Kehrseite akzeptiert, die darin besteht, dass das In-der-Welt-sein durch die zunehmende Komplexität der Lebenswelt zur Zumutung wird, oder mit Habermas gesprochen, tendenziell schon immer eine strukturelle Überforderung des Subjektes bedeutet.6 Ein harmonisches Naturverhältnis, von dem wir weiter denn je entfernt sind, das immerhin denkbar ist, und das wenn nicht als Positivum so doch als ein indifferentes Verhältnis gedacht werden konnte, wäre also die Bedingung dafür, Welthaltigkeit nicht als Negativität zu erfahren, oder mit Heidegger gesprochen als Verfallenheit oder Uneigentlichkeit.

In der negativen Kehrseite der modernen Entwicklung ist so, das Sprungbrett zur Konstruktion zu sehen, in der zwar ihre historischen und gesellschaftlichen Bedingungen verkannt werden, mit der sich dann aber auf heute vergangene, aber noch immer gegenwärtige Gegenwart eingelassen wurde. Ich kann hier nur an einer Stelle einsetzen, am Begriff der Eigentlichkeit. Unter welcher gesellschafts- und weltpolitisch tragischen Flexibilität dieser Begriff lei­det, erwies sich nicht zuletzt durch die verschiedenen, von Heidegger faktisch eingesetzten Träger dieses Begriffes, vom metaphysisch verein­samten Subjekt bis zur waffenstarrenden Staatsdiktatur, verklart als Volk der Obermenschen: „Dieser Menschenschlag (des Übermenschen, DDP) setzt innerhalb des sinnlosen Ganzen den Willen zur Macht als den ‘Sinn der Erde’.“ (Heidegger, Bd. 2, S. 313).

Eigentlichkeit offenbart im Moment ihrer aufgeblähten Ergreifung den ihr schon immer zugrunde­liegenden totalitären Zug des Setzens: dieses Totalitäre schlägt uns in Heideggers Sicht der Machtergreifung durch die Nazis entgegen: „Der Übermensch ist der Schlag jenes Menschentums, das sich erstmals als Schlag will und selbst zu diesem Schlag sich schlägt.“ (Heidegger, Bd. 2, S. 313) In dieser zeithistorischen Extremausformung einer Schläge­rei zum kollektiven Selbst sein erweist sich das Manipulative aller Selbstsetzung. Das Subjekt, das durch die Erkenntnis eines abwesenden Ganzen lieber ein Ungeopfertes bleiben sollte, wird hier mit neuen ideologischen Zuckerpillen auf den nächsten Opferschwindel vorbereitet. Der Machttheoretiker verstrickt sich hier in dem, was er den Trägern seiner Konzeption vormacht, den „Willen zur Nacht“ (Ernst Weiss). Was dahinter steht, lässt sich der Fluchtlinie der anschließenden Äuße­rung entnehmen: „Die letzte Periode des europäischen Nihilismus ist die Katastrophe im Sinne der bejahenden Umwendung“ (Heidegger, Bd. 2, S. 313) Auf die Ebene des Einzelsubjektes heruntergeholt heißt das, der starke Zwang zur Selbstsetzung in einer zersetzenden modernen Welt wird gewendet zur machtergreifenden Absolutsetzung des vermeintlich eigenen Willens. Aus der Not ergibt sich subjektiv die Notwendigkeit, die Not zur Tugend zu wenden. Das oben in Ausblick genommene Sichverweigern in der Vorgabe des Sichentscheidenmüssens, des „zu sein“, das wir sind, ist also durch Umstände motiviert, die Heidegger dann auch genauer bestimmt: „Der Mensch ist das allem Seienden, d.h. neuzeit­lich aller Vergegenständlichung und Vorstellbarkeit Zugrundeliegende.“ (Heidegger, Bd. 2, S. 61) Die Vergegenständlichung, der sich aus ihr ergebende Zwang zu ihrer Fortsetzung sowie der Zwang zur Vorstellung dieses Zusammenhanges sind die Front, gegen die sich die Abwehrhal­tungen gegenüber der anonymen Übermächtigung bilden, entweder als Machtübernahme durch Ergreifung aller Mittel oder als Entmächtigung im Sinne eines sich Enthaltens. Heidegger gewinnt dem Bewusstsein nur noch seine autoritäre Seite ab, ihm gerinnen alle ethischen Sicherungen zu Machtansprüchen einer auf Selbstbehauptung eingeschränkten Subjektivi­tät.

Mit dieser Hypostasierung der Zeittendenzen geht sich der Macht­theoretiker selbst in die Falle. Bei Nietzsche erscheint ihm die Gegen­wart als Zeitpunkt der Krise, sie steht unter dem Druck der Entschei­dung, „ob das Abendland sich noch zutraut, ein Ziel über sich und der Geschichte zu schaffen, oder ob es vorzieht, in die Wahrung und Stei­gerung von Handelns- und Lebensinteressen abzusinken und sich mit der Berufung auf das Bisherige, als sei dies das Absolute, zu begnügen.“ (Heidegger, Bd. 1, S. 579)

Die hier von Heidegger entwickelte Pers­pektive ist nicht tragfähig. Dass die Alternative zwischen einer positiven oder negativen Geschichtsteleologie, oder zwischen einer Fortschrittapolo­getik und Fortschrittsverdammnis nicht besteht, muss mit dem besseren Marx, Ferguson, festgestellt werden. Allein ein prozessuales, evolutio­näres Geschichtsverständnis ist sinnvoll, quasi als pragmatische Vari­ante einer Geschichtstheorie, nämlich den Geschichtsprozess als Wahrung und Bewahrung zu begreifen, aber nicht von entgegengesetzten Handels­interessen, sondern als Bewahrung und Verwirklichung von richtig ver­standenen Lebensinteressen. Unter dem Stigma der Partikularisierung ist unter Leben gerade der umfassendste Begriff dessen zu verstehen, was nicht nur erhalten, sondern auch qualitativ gesteigert werden sollte. Das Nicht-klein-sein-können Heideggers spitzt sich zu in der Erwartung ei­nes Absoluten, die sich in pessimistischer Verkehrung in die apokalyp­tische Erwartung eines katastrophischen Eintrittes des Neuen wandelt. Sprung oder Mutation werden genau wie bei Gottfried Benn als konstitu­tive Bewegungsformen der Geschichte in den Blick genommen.

Im Selbst sein der Fassung von 1927 liegt also noch ein untendenziöser Aufruf zur quasi religiösen Entscheidung des privaten, auf sich ver­einzelten Daseins, Sein als endliche Autonomie inmitten einer ent­götterten Welt zu vollziehen. Doch im erduldeten Verhältnis zur gegen­ständlichen Welt kristallisiert sich eine andere Aufgabe heraus, die eines eigentlichen Aktivismus der Seinsschöpfung. Der Seinsvergessen­heit, unter der die Gegenwart für Heidegger leidet, wird so die Seinsge­staltung entgegengesetzt.

Der eigentlich Daseiende wird so, vor dem Umschlag in eine vermeintlich konsequentere Fassung, dem kollektiven völkischen Selbst sein, konzipiert als der heroische Einzelne, der als Wagender sein volles Wesen entfaltet7: er ist der Gewalttätige, der Schaffende, der das Sein bewältigt, indem er das Ungesagte in seine Rede, das Ungeschaute in seinen Blick und das Ungeschehene in seine Tat bannt. Er setzt gegen die durchschnittliche Besorgung den denke­rischen Entwurf, das staatsschaffende Handeln. Die Gewalt des hero­ischen Einzelnen zeigt sich aber nicht nur in der Machtergreifung über sich selbst, sondern auch in der über Andere, die auf Versöhnung und Verabredung aus sind. Ihnen, denen Gewalt als Störung erscheint, lässt der Gewaltige keine Beschwichtigung und Güte gelten, er springt auf einem höheren Niveau in eine Archaik der Selbstbehauptung, die nicht mehr instinkt- und agressionsgeleitet ist, sondern mit Hilfe des evolutionären und zivili­satorischen Nebenprodukts Bewusstsein vollzogen wird und in der der Kampf als alles beherrschendes Paradigma nicht mehr gegen eine sich der Ver­fügbarkeit entziehende Negativität gerichtet ist, sondern gegen sich ur­plötzlich materialisierende Feinde, mit denen nicht zu spaßen sei. Hier wird das, was einem Denken Größe gab, leider auch als Ausfluss einer Art Moderni­tätsdepression sichtbar. Der Schuss geht nach hinten los, nicht gegen das, was er hervorbrachte, sondern gegen den Menschen selbst.

 

Anmerkungen

1 Das letzte Ziel, der letzte Zweck, der nicht wieder zum Mittel ei­nes anderen Zweckes werden kann, ist nur als etwas Voraussetzungs­loses denkbar. Dergleichen existiert nicht. Es lassen sich nur Vor­aussetzungen angeben, z.B. für ein moralisches Handeln den Erhalt des Planeten Erde. Nicht Glück, gerechte Gesellschaften oder Got­tesähnlichkeit können als letzter Zweck begriffen werden, sondern ­in scheinbarer Verkehrung – allein die Grundlage inhaltlich bestim­mter Zwecke.

2 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft. Zwei Bände. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983, S. 935.

3 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481–494. Dorth heißt es, „Was ist Aufklarung? Habe Muth dich deines eigenen Verstan­des zu bedienen!“

4 Merkwürdig finde ich, dass diejenigen, die sich professionell mit ethischen Fragen beschäftigen, immer noch eine gewisse Scheu an den Tag legen, diese Implikation hinlänglich zur Kenntnis zu nehmen.

5 Vgl. Niklas Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität: Über die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen, Tübingen: J. C. B. Mohr, Paul Siebeck, 1968, speziell den Schluss: „Zu Trennung von empi­rischer und normativer Forschung“, S. 343ff.

6 Vgl. Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 311.

7 Vgl. ebda. „Die metaphysikkritische Unterwanderung des okzi­dentalen Rationalismus: Heidegger“, S. 158ff.

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