Die digitale Bibliothek

Es wird zwar noch etwas dauern, doch letztlich ist es bloß noch eine Frage der Zeit und der Erfindung einer zuverlässigen digitalen Zahlungsweise bis die meisten Bücher, Dokumente, Bilder und auch Töne multimedial transformiert im World Wide Web auferstehen. Nichtsdestotrotz ist gerade das Buch – wenn man die Entwicklung der Verkaufszahlen betrachtet – erfolgreicher als je zuvor. Allerdings ist es vom Computer als Leitmedium unserer Kultur abgelöst worden. Und vergleicht man es als ein Medium des Wissens mit dem World Wide Web, so bietet dieses dem Buch und der Bibliothek gegenüber natürlich einen erheblich schnelleren Zugriff.

Fette Kataloge wälzen, unverständliche Leihscheine ausfüllen, lange Lieferzeiten abwarten – all das erspart uns das WWW als digitale Bibliothek. Und mit den verschiedenen Suchmaschinen lassen sich die unzähligen Seiten des WWW wie eine gigantische Datenbank nach beliebigen Stichworten durchsuchen. Ja, man könnte selbst versucht sein zu behaupten, dass uns das Weltweite Netz einen Teil des Denkens abnimmt: nämlich das Assoziieren und Verknüpfen von Wörtern, Sätzen, Gedanken, Ideen bis hin zu ganzen Werken.

Doch seine sogenannten Links, die viele der Millionen Seiten des WWW miteinander verbinden, sind bloß technisch implementierte Assoziationen anderer. Und wieviele vor uns über diese Pfade getrampelt sind, sagt noch lange nichts über ihre Qualität aus. Viel zu leicht führen sie uns vom Stöckchen aufs Hölzchen oder auch in morastige Hypertext-Gefilde, in deren Bedeutungs- und Assoziationsreichtum wir schnell versinken.

Daß die Metapher des Surfens sich so erfolgreich hält, ist daher überhaupt kein Wunder. Denn wer surft, kommt mit den Informationsfluten gar nicht ernstlich in Berührung. So ist surfen kein neuer Bezug zum Wissen, sondern ein beschleunigtes Blättern durch Texte und Bilder aus aller Welt. Wertvolle Fundstücke jedoch werden in die Schatzkammern der eigenen Festplatte kopiert. Wenn die kostspielige und daher meist hektische Expedition durch die Gestade der schon digitalisierten Kulturen beendet ist, können sie in Ruhe und mit Muße genossen werden: offline.

Zuerst erschienen 1996 in Der Tagesspiegel

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