BEBUQUIN: A Dreamtape

Das erste Mal sah ich etwas von Wilson eingezwängt zwischen Schein­werfern. Ein Freund von mir kannte eine Karten-Kontrolleurin, die uns um­sonst einließ. So geriet ich in die Civil Wars, von denen 1984 ein Teil in Köln aufgeführt wurde. Ich war 20 und weit davon entfernt zu wissen, wie nah ich ihm war, als ich dort zwischen den Scheinwerfern saß und nur mühsam etwas sehen und verstehen konnte …

Lange bevor die Surrealisten die Szene betraten, erfaßt uns Carl Einsteins 1906 begonnener Anti-Roman „Bebuquin or the dilettantes of Wonders“ wie der Traum sein bewusstloses Subjekt.

In seinem „Bebuquin“ setzt Einstein ästhetisch um, was er theoretisch erst später auf den Begriff bringt: seine Theorie des Gedächtnisses, die dieses als ein visuelles begreift. So ist im Bebuquin – schon vor dem expressionistischen Theater – das Licht in seiner Funktion für das Zentralorgan des Gehirns, dem Auge, erkannt und „bühnenwirksam“ umgesetzt.

Schon der Anfang des Textes zeigt das Licht als Akteur:

„Die Scherben eines gläsernen, gelben Lampions klirrten auf die Stimme eines Frauenzimmers: »Wollen sie den Geist Ihrer Mutter sehen?« Das haltlose Licht tropfte auf die zartmarkierte Glatze ei­nes jungen Mannes, der ängstlich abbog, um allen Überlegungen über die Zusammensetzung seiner Person vorzubeugen. Er wandte sich ab von der Bude der verzerrenden Spiegel, die mehr zu Betrachtungen anregen als die Worte von fünfzehn Profes­soren.“ (B, S. 3)

Wir be­gegnen einem gelben Lampion, der aus Glas, nicht aus Papier besteht, dessen erzähltes Licht als „Scherben“ auf die Stimme ei­nes Frauenzimmers „klirrt“ und im nächsten Moment auf die Glatze Bebuquins „tropft“. Der Erzähler hebt das Licht hervor, indem er es als ein verkörpertes erscheinen lässt. Das Licht, aber auch Töne führen uns durch Passagen, in denen die Prozessualität des Wahrnehmens in ihrem konstitutiven Verhältnis zu einer Empfin­dung des Verfließens von Zeit so dargestellt werden soll, dass diese Prozessualität evoziert wird.

Solche Empfindungen er­möglichen erst die retrospektive Vorstellung einer quantitativen Zeit, in der die Qualität aller „Zeitpunkte“ verloren geht. Die ersten beiden Sätze des Romans operieren mit „artifiziellen“ qualitativen Differenzen. Der Lampion ist aus Glas, nicht aus Papier. Das Licht klirrt und tropft auf etwas. Es fällt und erhellt nicht im konventionellen Sinn. Der erste Satz hebt eine kontinuierliche Zeitfolge auf, indem das Licht des gelben Lampions schon als „Scherben“ figuriert, zu diesen schon zersprungen ist, bevor es „klirrt“, bevor es auf eine „Stimme“ „fällt“. Die Scherben, die auf eine Stimme klirren, könnten die Funktion haben, diese als eine hysterische erscheinen zu lassen. Aber eigentlich ist es ein hoher Ton, der einen gläsernen Lampion zu Scherben zerspringen lassen könnte.

Einstein im Café

In der Einführung des Cafés, das ein zentraler Schauplatz ist, tritt das Licht in seinem Verhältnis zum Gedächtnis hervor:

„Um die Tische verbanden sich die Wiener Rohrstühle zu rhythmischen Guirlanden. Die Nase eines Trinkers konzentrierte die Kette jäh. Die Lichter hingen klumpenweise von der Decke und zerplatzten die Wände zu Fetzen.“

Die von der „Nase eines Trinkers“ jäh konzentrierte Papier–Kette wird als eine willkürliche Assoziations-Kette bloßgestellt. Aber die „Kette“ des zweiten Satzes, die für die Rohrstühle, die Papierkette, diese aber auch für eine Assozia­tions-Kette stehen, geht mit den Lichtern des dritten Satzes ei­ne Verbindung ein.

Die Kette der Assoziationen der ersten beiden Sätze erweitert sich durch das Licht des dritten Satzes, das auf sie zurückfällt. Die „Guirlanden“ des ersten Satzes verbinden sich konnotativ mit Lampions, Lichterketten. Der Erzähler lässt uns einer Assoziation folgen, die sich im Zusammenspiel des zweiten und dritten Satzes als eine unzulässige, Assoziations-Kette erweist, die durch das „ausgelöst“ wird, was in einem konzentrierten, durch Licht geleiteten Blick in die Wahrnehmung gelangt. Diese Asso­ziations-Kette, aber auch der konzentrierte Blick zerstreuen sich im dritten Satz durch ein Licht, das die Wände zu Fetzen zerplatzt. Die Bewegung des Lichts vollzieht sich wie die einer Feuerwerksrakete, die zielstrebig in den Himmel steigt und dann zerplatzt. Der Bewegung der Kon­zentration, die in ein Zerplatzen umschlägt, entspricht nicht nur ein durch Licht geleiteter, konzentrierter Blick, der sich dann zerstreut, sondern genauso ein assoziierendes Subjekt, das dissoziiert, das genau wie die Wände zerplatzt und dessen „Kette des Zusammenhangs …, die wir Gedächtnis nennen und die unser Ich ausmacht“, wie es bei Einstein heißt, zerreißt.

Die Poetik des Lichts

Im vierten Kapitel, unmittelbar vor der Einführung des Cafés, ist es Nebukadnezar Böhm, der Bebuquin gegenüber mit wenigen Sätzen eine „Poetik des Lichts“ postuliert:

„Bebuquin, sehen sie einmal. Vor allen Dingen wissen die Leute nichts über die Beschaffenheit des Leibes. Erinnern sie sich der weiten Strahlenmäntel der Heiligen auf den alten Bildern und nehmen Sie diese bitte wörtlich. Denken Sie eine Frau unter der Laterne; eine Nase, ein Lichtbauch, sonst nichts. Das Licht, aufge­fangen von Häusern und Menschen. Damit wäre noch etwas zu sagen. Hüten Sie sich vor quantitativen Experimenten.“ (B, S. 12)

Das „sehen sie einmal“ ist nicht nur eine rhetorische Aufforderung an Bebuquin, aufmerksam zu sein, sondern zugleich „wörtlich“ zu nehmen, wie die „Strahlenmäntel der Heiligen auf den alten Bil­dern“. Böhm gibt deren Funktion zu erkennen, nämlich die Heili­gen in die Wahrnehmung zu bringen. Und die Nase, von der Böhm spricht, begegnet uns wenige Zeilen später als „die Nase eines Trinkers“ wieder, in der lichtdominierten Einführung des Cafés.

Im „Bebuquin“ ist das phantastisch bis zur Subjektqualität gesteigerte Licht verantwortlich dafür, was an Ob­jekten in unsere Wahrnehmung gelangen kann. Wir begegnen keiner Nachahmung einer als empirisch vorausgesetzten Welt. Deren Existenz wird jedoch kei­neswegs geleugnet, nur ist sie als „Ding an sich“ unerkennbar. Da für Einstein gilt, dass ein platonisches „Urbild“, eine Idee nie exi­stiert hat, haben wir es von vornherein nur mit Schein zu tun, der aber nicht „bloßer Schein“ ist, sondern stets in Relation zu einem „Objekt an sich“ steht. Kein Wesen sieht die „Dinge an sich“, sondern nur so, wie sie ent­sprechend der Lichtempfindlichkeit und der Fähigkeit der Farb­wahrnehmung erscheinen. Das ästhetische Bild ist in diesem Sinne weniger Nachahmung eines außenweltlichen Objekts, son­dern vielmehr Nachahmung einer Wahrnehmungsweise.

Bebuquin – Ein Traumtext

Im Bebuquin verkörpert der Erzähler und das Licht jenes „Es zeigt“, das im Traum hervortritt hervor, mit dessen Eigenheiten, wie Lacan sie formuliert, und wie sie uns im Roman begegnen:

„seinen Koordinaten – Fehlen eines Horizonts, Verschluß des im Wachzustand Gesehenen, auch die Art des Auftretens, des Kon­trasts, des Flecks seiner Bilder … Das Subjekt sieht nicht, wohin es führt, das Subjekt folgt nur, kann sich gelegentlich zwar davon ablösen, … aber keinesfalls könnte das Subjekt sich im Traum so begreifen, wie es sich im cartesischen cogito als Denken begreift.“

Das Verhältnis des Traums zum Bewusstsein ist wie das des Auges zum Blick. Der Blick konstituiert das Bewusstsein, das in der Illusion befangen ist, sich beim Beobachten beobachten zu können. Dieses Bewusstsein beruht auf der Verdrängung, dass wir wie im Traum von überall her erblickt werden. Oder wie Lacan es sagt, „ich sehe nur von einem Punkt aus, bin aber in meiner Existenz von überall erblickt“. Die Retina des Auges ist die Fläche auf der sich dies Erblickt-Werden einschreibt. Im Wachzustand verdrängen wir es, im Traum erleben wir es ohnmächtig.

Einstein schreibt einen Text der wie ein Auge ohne Blick ist, der das grammatikalische Verhalten außer Kraft setzt, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt einzieht wie bestimmte Bilder Man Rays.

Der Text nimmt dadurch die Qualität eines „öffentlichen Ortes“ an, in dem sich das Subjekt wie in einer Menschenmenge verlieren kann.

Darauf zielt zunächst der Einsatz des Lichts, dann die vielfältigen strategischen Metaphern, die so auf alle anderen Stellen des Romans hinlenken, wie das Licht zu allen Seiten hin strahlt, aber dann auch die zwischen Assozia­tion und lichtdominierten Sehen schwankenden, „erzählten“ Wahr­nehmungen und Erlebnisse und die sich davon scharf abzeich­nenden monologischen und dialogischen Reflexionen, die in sich selbst widersprüchlich und antithetisch sind und keiner Auflösung zugeführt werden. Und schließlich können wir nicht entscheiden, ob wir es noch mit einer konventionellen Figurenkonstellation zu tun haben, oder multi­phrenen Ab- und Aufspaltungen eines Phantasierenden.

The Novel On Stage

Die Inszenierung des Textes kann dessen Lichtpoetik gegen das Rauschen der parodierten ästhetischen und philosophischen Diskurse ausspielen.

Man könnte beginnen, wo die Novel endet: im Totenbett Bebuquins.

Ein trügerischer Strohhalm, der die Deutung nahelegt, es handele sich um einen Traum, und an dem sich der Beobachter festhalten kann. Dieser Strohhalm kann dann in der Cirkusszene nachhaltig zerstört werden: Der Zuschauerraum verwandelt sich zum Innern des Cirkus, Spiegelsäulen fahren herab, das Publikum sieht sich selbst, sieht, wie es geträumt wird, das Publikum ist Bestandteil des Träumers, so zerfasert der Strohhalm. Die letzte Souveränität, die dem Publikum bleibt, – im inszenierten Traum noch entscheiden zu können, wohin der Blick geht – zerstören. Den Zuschauer anschauen, nicht als Theatermacher, nicht die Inszenierung, sondern der Tote auf dem Bett, dessen träumerisches Chaos wir sind.

Es heißt:

„Die Paralyse zog in die Stadt ein. Mehrere Eisenbahnwaggons hielten mittags vor dem Zirkus. Im friedlichen Sonnenschein sortierte man die Toten aus. Dann verlud man die Irren.“

Damit die letzte denkbare Öffnung der Schleuse, eine Phantasmorgie des kollektiven Gedächtnisses, ein All-Identifikation mit dem Leiden.

Die Entgrenzung des Subjekts, das „Abschwinden“, „fading“, von dem Barthes in Anlehnung an Lacan spricht, die Auflösung der Unterscheidung von Subjekt und Objekt, finden wir bei Barthes in einer Spekulation über den „Text“, in der sich dieser in eine absolute Metapher verwandelt:

Es ist kein Zufall, dass sich die Beschreibung eines Menschen, die Barthes zu Beginn von „Die Lust am Text“ gibt, und die sich als eine des Lesers, der Wollust empfindet, entpuppt, als Charakterisierung des „Autors“ Einstein nehmen lässt:

„Man denke sich einen Menschen (einen umgekehrten Monsieur Teste), der alle Klassenbarrieren, alle Ausschließlichkeiten bei sich niederreißt, nicht aus Synkretismus, sondern nur um jenes alte Gespenst abzuschütteln: den logischen Widerspruch; einen Menschen, der alle Sprachen miteinander vermengt, mögen sie auch als unvereinbar gelten; der stumm erträgt, dass man ihn des Illogismus, der Treulosigkeit zeiht; der sich nicht beirren lässt von der sokratischen Ironie (den anderen zur äußersten Schande treiben: sich zu widersprechen), vom Gesetzesterror (wieviele strafrechtliche Beweise fußen auf einer Psychologie der Einheit!). Ein solcher Mensch wäre der Abschaum unserer Gesellschaft: Gericht, Schule, Irrenhaus und Konversation würden ihm zu Außenseiter machen: wer erträgt schon ohne Scham sich zu widersprechen?“[1]

[1] Barthes 1986, S. 8. Sibylle Penkert hat in ihrer Monographie die für Einstein qualvollen Stationen Irrenhaus, Schule und Gericht sehr detailliert nachgezeichnet, vgl. Penkert 1969, zum Gotteslästerungprozeß aber auch Houben 1924, S. 137-174.

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