Da die frühen Mythen der Informationsgesellschaft, sie schaffe Arbeit, schone die Umwelt und belebe die Wirtschaft, verblassen, kommt der Glaube, die neue Medientechnik mache uns zu Göttern in einem irdischen Paradies, gerade recht. Selbst die moderne Post geht mit einer solchen postmodernen Religion auf Seelenfang. In ihrer Fernsehwerbung darf neben dem Weihnachtsmann auch der Medienprophet Norbert Bolz mit dem Glöcklein klingeln. Schließlich versprechen seine Beschwörungen auch einen kräftigen Boom: “es geht nicht mehr um religiöse Kommunikation, sondern um Kommunikation als Religion.” Genauso sicher ist der Medientheoretiker Volker Grassmuck: “Mytho-Logos wie Techno-Logos sind Weltschöpfungskraft, sind das leibhaftig gewordene, göttliche Wort.”
Einst waren Engel die Verkörperung des göttlichen Wortes. Aus der Ewigkeit traten sie in Raum und Zeit. Umgekehrt führt unser Weg. Heute noch Empfänger multimedialer Töne und Bilder ist unser Körper. Doch, so der total digitale “Nikolaus” Negroponte, mit dem Cyberspace überwinden wir ihn. Denn ewig wird der Geist, wenn, wie mancher nahen sieht, wir unser Gehirn durch Chips ersetzen: als kopierbare Datei. Warum ihn nicht auch im genauso reproduzierbaren Fleische eines Clones auferstehen lassen? Verhieß doch schon der heilige Paulus: “Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich”! Und fiel nicht auch Thomas bei, von Aquin, es sei gegen die Natur der Seele, ohne ihren Körper zu existieren? Nicht nur des Gerechten Seele, auch sein Körper soll Glückseligkeit erlangen.
Was aber wird aus dem Bösen in dieser Medienreligion? Wenn das Streben nach Gottähnlichkeit eine absolute Grenze im ewigen Sein der Engel findet, muß dann unsere Technik als Potenzierung des einst willkürlichen, von Luzifer personifizierten Bösen gelten, das heute so allmächtig und omnipräsent ist, wie wir uns es von Gott wünschten? “Das Böse”, so Florian Rötzer in dem gleichnamigen Sammelband, erscheint als Effekt der ineinander greifenden, komplexen Systeme von Natur und Gesellschaft, die nur noch ihrer Eigenlogik gehorchen. Gilt also nicht länger, dass wir dem Chaos der von uns bewohnten und gebildeten Systeme durch unser Feedback eine stets zu bestätigende Ordnung abringen? Wohl nicht mehr, wenn man dem Soziologen Jean Baudrillard folgt. Für ihn ist die Informationsgesellschaft Endpunkt des Versuches, mit “medialer Regulierung die Wurzeln des Bösen und jeder Radikalität” abzuschaffen. Die totale Information bringe jedoch die Gleichverteilung und damit die Aufhebung aller Eigenschaften der Individuen und Gesellschaften. Wo aber Grenzen und Unterschiede fehlen, entstehe Haß. Seine Jagd auf die Reste des Fremden und Anderen beschleunige “das Ende des Sozialen” bis, wie bei einem physikalischen System, die “kritische Masse” der Informationsgesellschaft erreicht sei. In deren Umschlag, dem “Urknall der Information”, lässt Baudrillard die überall präsente Energie des Hasses rein destruktiv und fatalistisch verpuffen. Keine Spur davon, dass sich diese negativen Libidoenergien auch zu regionalen Kulturen sublimieren könnten.
Zuerst erschienen 1995 in Die Zeit