Göttliche Technik, teuflischer Trick

Bei jeder Gelegenheit spinnt sich der Mythos fort, mit den neuen Medien würden wir zu Göttern in einem Paradies auf Erden. So ist etwa die elegante Formel zu hören, es gehe nicht mehr um religiöse Kommunikation, sondern um Kommunikation als Religion. Das Internet sei die technische Implementierung dieser neuen Religion und zugleich die ultimative (Er)-Lösung. Das lateinische “religio” bedeute schließlich nicht nur Kult und Gottesdienst, sondern auch “Verbindung”. Wahrlich, wo wäre sie segensreicher als im World-Wide-Web, in dem jeder seiner persönlichen Version von Glaube, Liebe und Hoffnung anonym und in der Regel ungestraft nachgehen kann? Doch das Schicksal, das der Mythos der Medien über uns verhängt, hält noch andere Herausforderungen bereit. Im Cyberspace, so heißt es, werden Mensch und Welt eins, denn er ermöglicht den totalen Durchblick von innen und von allen Seiten – so als wären wir Gott. Aber den neuen Medien dichtet man Allwissenheit und Allgegenwart vor allem deshalb an, weil sich der Mensch seit Urzeiten einbildet, die Attribute der Technik durch ihre Nutzung auf sich übertragen zu können. Aber machen wir uns nichts vor. Der zugkräftige Mythos, die neuen Medien seien und machten uns göttlich, kam erst auf, nachdem die Hoffnungen verblaßten, sie würden mehr Arbeit schaffen, die Umwelt schonen und sogar die Gesellschaft demokratisieren.
Daß jedoch die neue Medienreligion bei all dem die Rolle des Bösen unterbelichtet, ist nicht verwunderlich. Denn das Böse, das sie verdrängt, sind die Medien gewissermaßen selbst. Was wäre naheliegender als im World-Wide-Web oder den Techniken der Telepräsenz und der virtuellen Realität zeitgemäße Formen der Siebenmeilen-Stiefel zu erkennen? Sie versprechen, was wir uns von jedem Teufelspakt erhoffen: Raum und Zeit dem eigenen Erleben zu unterwerfen. Die neuen Medien kommen dem Verlangen nach Macht und Kontrolle entgegen und bieten sowohl den global playern als auch den Konsumenten ihrer Dienstleistungen und Produkte bislang unbekannte Möglichkeiten. Wer sie aber vergöttlichen will, versucht im Grunde nichts anderes, als Kräfte, die ehemals als satanisch galten, salonfähig zu machen. Diese Kräfte werden immer stärker und bis zur Unkenntlichkeit anonym. Der Teufel steckt nicht länger nur in uns, sondern auch in den unüberschaubaren Details der sich verselbständigenden Technologien. Doch selbst wenn sie allmächtig und omnipräsent erscheinen, göttlich werden sie angesichts ihres Mißbrauchs nie werden können.

Zuerst erschienen 1996 in  Der Tagesspiegel

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